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Sound Shapes

Sound Shapes

Kennt ihr diese Leute, die, sobald sie nur die ersten Töne eines Liedes hören, sofort fehlerfrei den Takt klopfen können? Dazu gehöre ich nicht. Ich habe kein Taktgefühl. Und trotzdem hat mich Sound Shapes begeistert - und das nicht nur wegen seiner außergewöhnlichen Klangfacetten. Vielmehr geht es die absurden Welten und eine kluge Strategie, mit der Queasy Games den Sammel-Trieb weckt.

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Dabei ist das Spielprinzip alles andere als neu. In klassischer Side-Scroller-Manier steuern wir einen kleinen gelben Ball Level für Level über verschiedene Hindernisse, um am Ende einen Plattenspieler zu erreichen. Dabei klebt unsere Figur an hellen Oberflächen fest und gleitet an allem anderen mühelos herunter oder entlang. Aber eben nur an fast allen anderen. Denn die gelbe Kugel hat eine Schwäche für alles was rot ist, weshalb man genau diese Farbe meiden sollte.

Das könnte jetzt auf den ersten Blick genauso nichtssagend sein, wie es klingt, wenn Sound Shapes allein von der Spielmechanik getragen werden würde. Das ist aber zum Glück nicht der Fall. Deutlich wird das schon, als wir uns die Kampagne vornehmen. Sechs Alben stehen dort zur Auswahl, mit unterschiedlichen Designs und Stücken. Letztere stammt übrigens von bekannten Größen wie Deadmau5 oder Beck.

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Im richtigen Takt heißt es, über die kleinen blauen Raketen hüpfen, um in den nächsten Levelabschnitt zu gelangen. Dabei sollten die roten Pflanzenranken vermieden werden.
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Die Wahl fällt auf Cities, das uns im ersten Level in eine zerstörte Stadt entführt. An allen Ecken und Enden züngeln hier die Flammen im Takt der noch spärlichen Hintergrundmusik und rote Raketen zucken durch die Luft. Während wir an den Wänden nach oben oder unten gleiten und von Haus zu Haus springen, sammeln wir immer wieder neue Takte der Musik auf, die mit jeder Note Stück für Stück vervollständigt wird.

Aber es sind nicht nur die aufgesammelten Töne, die zur Musik beitragen. Eigentlich erzeugt alles in dieser eigentümlichen Welt Musik. Ein Kran, der uns mit seiner roten Abrissbirne leicht zum Verhängnis werden kann, wenn wir nicht geschickt über ihn hinweg hüpfen, erzeugt mit seinem Auspuff schnelle tiefe Töne. Wolken diesen uns als Brücke, so lange der der Chor im Hintergrund ein raunendes Ahhhh von sich gibt. Alle Elemente von Umgebung über Steuerung und Musik greifen stimmig ineinander, daher fällt es auch kaum ins Gewicht, sollten wir eine Note verpassen.

Aber eben genau das wollen wir am Ende unter allen Umständen vermeiden. Das Ziel ist es nicht, einfach nur der Vollständigkeit halber alle Töne zu finden, sondern den kompletten Song zu hören. Und genau dieser Ehrgeiz führt dazu, dass wir uns plötzlich immer wieder an denselben Speicherpunkt zurückgesetzt sehen, nur weil wir zum wiederholten Mal in einen der fiesen und schnellen Laserstrahlen geraten sind. Zum Ziel zu gelangen, das ist nicht besonders schwer. Das Musikstück zu vervollständigen ist dafür teilweise eine echte Herausforderung. Dann ist Taktgefühl gefragt, denn fliegende katzenartige Kreaturen lassen sich gut im Rhythmus umgehen. Wenn das natürlich fehlt, wie bei mir, wird's doppelt schwer, aber nicht minder unterhaltsam.

Wer ein richtig knackiges Jump'n'Run im Stil von Super Meat Boy sucht, ist bei Sound Shapes trotzdem an der falschen Adresse. Hier geht es vor allem um die Spielerfahrung - und die ist schlicht großartig. Das verdankt der Download-Titel zu einem großen Teil den genauso abgedreht wie liebevoll gestalteten Welten. Neben der zerstörten Häuserfront geht es in dunkle Wälder, wo wir uns an Lianen entlang bewegen oder durch gefährliche Feuerlevel, in denen uns Roboter mit Laseraugen erwarten. Teilweise muss man sich wirklich fragen, was im Kopf der Designer passiert ist, als sie diese abgedrehten Umgebungen erschaffen haben. Aber ihre Welten sind es eben, die für Abwechslung sorgen und bewirken, dass wir weiter spielen wollen - ja, sogar müssen. Umso trauriger, dass die Kampagne recht kurz ist. Nach den sechs Alben, die jeweils bis zu fünf Welten beinhalten, ist das Spiel erstmal vorbei.

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Und dann beginnt der langwierige zweite Teil. Wer ein bisschen musikalisches Talent hat oder das zumindest von sich behauptet, stellt sich der Herausforderung des Level-Editors. Als Schöpfer farbenfroher oder gefährlicher Welten kann hier jeder sein Innerstes nach außen kehren und es mit einer ganz eigenen Musik untermalen. Erzeugt wird die mit Hilfe der Gegenstände, die wir in der Kampagne freigeschaltet und dort bereits im Einsatz gesehen haben.

Sound Shapes
Die Hüpfpassagen sind nicht immer schwierig, erzeugen aber ein schönes Klangmuster und lassen uns nach anspruchsvollen Passagen mal wieder durchatmen.

Noten müssen platziert, Hindernisse gebaut und Speicherpunkte gesetzt werden und das am besten so, dass am Ende eine schöne Melodie entsteht. Das ist alles andere als leicht und die Möglichkeiten schier endlos. Noch dazu müssen die Töne in der entsprechenden Höhe gesetzt werden. Das bedeutet, für hohe Töne die Noten nach oben setzen und tiefe Klänge mit Noten in Bodennähe platzieren. Dann heißt es, Lianen und Gegenstände platzieren, die es der Kugel ermöglichen, die Musikteile auch noch zu erreichen.

Schlimmer noch als die Tatsache, dass es eine ganze Weile braucht, um überhaupt ein Gespür dafür zu bekommen, welche Objekte schöne Klangmuster erzeugen, ist dieser unfassbare Suchtfaktor. Nicht zuletzt brauchte ich Stunden für diese Review, weil ich in der Zwischenzeit immer wieder meine schäbige Welt verbessern wollte - unmöglich, wie sich herausstellt.

Andere haben da ein besseres Gespür und die stellen ihre Werke im Community-Bereich zur Verfügung. Neben der Möglichkeit, beliebte Welten mit einem Favoriten-Herzchen zu versehen, abonnieren wir auch gleich den Ersteller und bleiben über dessen neueste Schöpfungen auf dem Laufenden. Im Laufe der Zeit wird Sound Shapes sicher eine ähnlich rege Community wie Little Big Planet um sich scharen, dann gleichen die zusätzlichen Inhalte auch die eher spärliche Kampagne aus.

Das kann man Sound Shapes tatsächlich nur wünschen, denn es bietet nicht nur die tolle Spielerfahrung der Kampagne, in der wir in fantasievolle Welten entführt werden, sondern obendrauf ein eigenes Tonstudio, in dem auch unmusikalische Menschen ihren Spaß haben. Wem bei elektronischer Musik die Ohren nicht gleich zurück in den Kopf wandern, der kann eigentlich keinen vernünftigen Grund vorbringen, diesen Titel nicht zu spielen.

09 Gamereactor Deutschland
9 / 10
+
abgedrehte Welten, tolle Musik, umfangreicher Level-Editor
-
kurze Kampagne
overall score
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