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Sinoalice

Sinoalice

Nier-Entwickler Yoko Taro lässt bekannte Figuren aus Märchen und Fabeln in diesem Pay-to-Win-Gacha an ihren Begierden verzweifeln.

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In Japan läuft der Titel schon sehr lange und deshalb durften sich diese Spieler über ein Drakengard-Crossover freuen.

Sinoalice ist eines dieser Spiele, vor denen man andere Leute warnen sollte. Das Game hat meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen, weil Square Enix prominent mit der Beteiligung Yoko Taros geworben hat - dem Erfinder von Drakengard und Nier. Das hat dem Spiel zuerst nur rein gar nichts gebracht, weil ich vom stumpfen Kampf initial bereits so sehr abgeschreckt wurde, dass ich es direkt fünf Wochen lang ignoriert habe. Doch dann folgte ein Crossover-Event mit Nier: Automata und plötzlich hatte es mich am Haken.

Zum Verständnis: Sinoalice ist ein mobile Game vom Typ "Gacha". Man kämpft gegen sogenannte Alpträume und versucht natürliche Elementarschwächen auszunutzen. Feuer erzielt Extraschaden gegen Wind, Angriffe dieses Typs sind stark gegen Wasser und jetzt ratet mal, wie die letzte Verbindung dieser Dreiecksbeziehung aussieht. Jedenfalls ist das alles so furchtbar stumpf, dass man die meiste Zeit das Handy die Arbeit erledigen lässt. Der automatische Kampf ist zwar wahllos und ineffektiv, aber das spielt im PvE-Bereich die meiste Zeit über eh keine Rolle.

Wie stark euer Charakter ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Es gibt mittlerweile zwar sehr viele Figuren, aber nur acht Klassen, die sich Ausrüstungsteile teilen allerdings auch Zugriff auf spezielle Gegenstände mit ihren entsprechenden Effekten haben. Die jeweilige Charakterklasse könnt ihr im Level steigen lassen, was ihr spezielle Boni gewährt. Obwohl viel Aufmerksamkeit in die sehr hübsch visualisierten Figuren-Designs geflossen ist, sind die quasi nebensächlich, da der Fokus ausschließlich auf eurer gefarmten Ausrüstung liegt.

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Dies Bildreihenfolge sagt bereits sehr viel über dieses Spiel. Und über mich...

Die gibt es aber ausschließlich aus Lootkisten mit zufälliger Beute und verschiedenen Äquivalenten davon. Das Nier-Event ist jetzt seit einigen Wochen vorüber und seitdem farme ich Verbrauchsmaterialien, die man zum Fusionieren, sprich zum Verbessern des Equipments benötigt. Ich habe den Wert meiner Ausrüstung in dieser Zeit nur unmerklich steigern können, obwohl die Teile viel Stufen hochwertiger geworden sind. Schneller würde das alles gehen, wenn ich mir neue Gegenstände via Echtgeld kaufen würde. Von welcher Investition wir hier sprechen, habe ich mal ausgerechnet.

Um Kaine's Sword, das zum Ende des Events mit einer Chance von 0.666 Prozent zusammen mit 150 anderen Gegenständen aus der besagten Grimoire purzelt, auf das maximale Level-Cap von 120 zu bringen (und da rechne ich nicht die enorme Menge an Crafting-Materialien ein, die man zum Veredeln der Ausrüstung benötigt), hat man entweder sehr viel Glück und zieht besagtes Item fünf Mal aus fünf einzelnen Kisten (was mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht klappt) oder man plündert das eigene Sparschwein.

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Es gibt verschiedene Möglichkeiten, das Item definitiv zu erhalten und rein rechnerisch sollte es sich fünfmal in eurem Besitz befinden, nachdem ihr maximal 2.025 Euro an Premiumwährung ausschließlich in diese Kisten versenkt habt. Das ist dann aber leider nur ein einziges Item in einem von 20 Waffen-Slots, vier Rüstungs-Slots und vier Alptraum-Slots (neben passiver Ausrüstung). Und was hat man dadurch gewonnen? Die eine Attacke ist dann richtig stark, wenn ihr sie mit einem hochgelevelten Charakter aus der Nier-Kollaboration nutzt. Ach ja, den braucht ihr dann natürlich auch fünfmal, stimmt ja...

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Einige Event-Charaktere werden an die Spieler verschenkt, andere darf man sich selbst freispielen. Andere muss man kaufen oder aus den Event-Grimoiren kaufen.

Ich brauche noch Unmengen an Upgrade-Materialien, ehe mein Setup halbwegs brauchbar ist, allerdings kommt man da nicht wirklich leicht ran. Sinoalice erzwingt regelmäßige Spielpausen, da man immer nur ein paar Missionen absolvieren kann, ehe die Aktionspunkte verbraucht sind. Die zum Farmen wichtigen Aktivitäten sind zudem an für Europäer ungünstige Zeiten am späten Abend und mitten in der Nacht festgesetzt, wodurch sich diese Bemühungen selbst dann noch unnötig in die Länge ziehen, wenn man sich nachts einen Wecker stellt, um dafür aufzustehen.

Da man Waffen, Alpträume (das sind im Wesentlichen Gruppen-Buffs) und Rüstung aber nicht nur aufrüsten, sondern auch weiterentwickeln kann, werden die bereits gewonnenen Fortschritte regelmäßig wieder zurückgesetzt, um das Level-Cap eines Items etwas anzuheben. Durch die Wiederholung wird ein beliebiger Gegenstand im Endeffekt doppelt so mächtig wie normal, allerdings gibt es wie gesagt viele Voraussetzungen und Bedingungen dafür. Es ist in jedem Fall ein dicker Grind, der sich selbst dann zieht, wenn man ständig die Premiumwährung ausgibt und Glück beim Los-Ziehen hat.

Aber wenn es doch so furchtbar ist - und das ist es auch - warum spiele ich es dann überhaupt? Weil ich glücklich genug war, eine Kainé aus Nier als Charakterklasse zu erhalten. Yoko Taro hat die Assets nämlich mit kleinen Ideen versehen, die an seine früheren Werke angelehnt sind. Beispielsweise gab es in den Event-Zeiträumen der beiden Nier-Events zwei sehr schöne, kleine Quest-Reihen, die uns in die Traumwelten von 2B und Emil haben Einblick nehmen lassen. Zudem verraten die Figuren und ihre Ausrüstung stimmungsvolle Details, wenn wir sie weit genug aufleveln. Das ist in gewisser Weise meine Achillesverse und deshalb farme ich gerade auch immer noch so fleißig.

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So sieht das eigentliche Gameplay von Sinoalice aus. Es gibt zig Varianten dieses Spieltyps.

Abseits von Event-Quests bietet Sinoalice viel Quatsch. In der Story erleben wir absurd negative Geschichten von mächtig leidenden Protagonisten, die sehr lose auf bekannten Märchen basieren. Das jeweilige Hintergrundthema wird dabei jedoch so grotesk entstellt, dass das Märchen-Setup lediglich als Aufmacher dient, um düstere Gedanken zu ergründen. Das Spiel veranschaulicht in gewisser Weise die Alpträume von immensen Begierden und das gelingt dem Autor und seinem Team wie gewohnt hervorragend, trotz zahlreicher Einschnitte, die auf diese Art Spiel zurückgehen. Spielerisch ist das alles die Anstrengungen natürlich trotzdem nicht wert, da die PvE-Anforderungen schnell so sehr im Schwierigkeitsgrad ansteigen, dass man nicht hinterherkommt - oder die AP sind wieder alle und man wird zur Zwangspause verdonnert.

Die Story wird aktuell noch mit weiteren Facetten und neuen Charakteren erweitert, sie ist also auch noch lange nicht fertig. Saisonale Events locken die Spieler regelmäßig mit weiteren, abstrusen Szenarios zurück ins Spiel und da sie mit extra Belohnungen locken, kann man die auch nicht so richtig ignorieren. Zuletzt habe ich zwei Figuren dabei begleitet, wie sie eine kleine Muschel zurück zu ihrer Familie bringen, um alle Geschwister-Muscheln anschließend zu fressen. Hört sich blöd an, aber immerhin wurde es mit viel Charme inszeniert und ordentlich niedergeschrieben.

Das Hauptaugenmerk von Sinoalice ist wahrscheinlich die PvP-Struktur, mit ihren vielen Gilden und Arena-Kämpfen gegen echte Spieler. Das Klassensystem wäre durchaus dazu in der Lage, eine gewisse Dynamik und Meta-Gefechte zu unterstützen, allerdings ist die Sache schlicht und ergreifend witzlos, da sämtlicher Spielfortschritt im Grunde über Mikrotransaktionen ermöglicht wird. Wer kompetitiv spielen will, muss regelmäßig tief in die Tasche greifen und das ist dann eben kein Spiel mehr, sondern eine Sucht.

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Beispiele für die narrativen Sequenzen, die zum Anfang jeder Story-Mission auf uns warten.

Das Nebenbei-Gameplay unterstützt den passiven Grind, der die Handyakkus frisst und einen von der Arbeit ablenkt. Die Menüstrukturen sind furchtbar verschachtelt und hier und da gibt es noch ein paar Bugs (vor allem auf der Sound-Seite), die wahrscheinlich für immer bestehen werden. Die enormen Kosten der Mikrotransaktionen sind eine Frechheit, obwohl man regelmäßig mit neuen Twilight Crystals angefixt wird. Neben der schicken Präsentation und den emotionalen Story-Fallen kann der Soundtrack stellenweise überraschen, da der Komponist Keiichi Okabe einige tolle Stücke für dieses Projekt beigesteuert hat. Man könnte meinen, das wäre Verschwendung, aber der krasse Fokus auf die finanzielle Ausbeutung der Spieler wird seine Kosten schon reinspielen.

Sinoalice ist letztlich also nur ein weiterer Klon einer furchtbaren Krankheit im Gaming-Sektor. Was dieses Spiel im Gegensatz zu so vielen Titeln besonders macht, ist der kreative Einfluss des verrückten Entwicklers Yoko Taro. Der muss einfach nur mit einer seiner bestehenden Marken winken, damit seine leidensbereiten Fans auf das neue Thema aufspringen und mögliche Hinweise intravenös aufsaugen. Bei mir hat das alles erschreckend gut geklappt, aber falls ihr nicht auch vollkommen kaputt seid, lasst bitte, bitte die Finger von solchem Mist. Das hier ist ein echter Alptraum und kein Spiel.

03 Gamereactor Deutschland
3 / 10
+
Präsentation stimmt, regelmäßige Events, Story überrascht mit scharfem Writing.
-
unglaublich teure Sucht, Ladezeiten, Navigation, Musik-Bugs, Pay-to-Win-Formel.
overall score
ist die Durchschnittswertung von Gamereactor. Wie hoch ist eure Wertung? Die Durchschnittwertung aller Gamereactor-Redaktionen wird aus den Wertungen in allen Ländern erhoben, in denen es lokalen Gamereactor-Redaktionen gibt

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