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Humankind

Humankind

Patrik hat sich tief in diesen sogenannten "Civilization Killer" eingegraben.

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Die Weltgeschichte und Strategiespiele sind eine gern gesehene Kombination und Civilization ist die Serie, die dieses Mantra besonders gut veranschaulicht. Humankind bezeichnet sich selbstbewusst als „Civilization-Killer", denn es beschäftigt sich ebenfalls mit der Menschheitsgeschichte. Ich habe mich in die neueste Arbeit von Amplitude Studio eingearbeitet, um zu überprüfen, ob es dieser Titel wirklich verdient, zusammen mit Firaxis' Strategiespiel genannt zu werden.

Wenn ihr eines der vorherigen Spiele des Entwicklers gespielt habt, darunter Endless Legend oder Endless Space, werdet ihr vieles wiedererkennen. Was mir zuerst auffiel, war, wie ungewohnt sich die Benutzeroberfläche, die Schriftarten und das Design anfühlten. Zwischen den Zeitabschnitten erwarten uns Zwischensequenzen und ein Erzähler begleitet uns während des Spielens immer wieder. Gleichzeitig lassen sich DNA-Stücke aus Civilization erkennen, die eine große Inspirationsquelle gewesen zu sein scheinen. Im Grunde handelt es sich bei Humankind nämlich um die gleiche Reise, die Sid Meier bereits in seiner berühmten Serie hinter sich gebracht hat. Obwohl sich einige Dinge voneinander unterscheiden, ist es auch in Humankind euer Ziel, eine Fraktion zu erschaffen, die auf eigenen Beinen steht.

Zuerst legt ihr einen Avatar fest, den ihr selbst entwerfen und benennen könnt. Im Moment lassen sich Aussehen, wie Haare, Lippen, Nasen und Mund, anpassen, und ihr könnt außerdem ein Symbol und die Farbe eures Imperiums auswählen. Während des Spielens, verändert sich die Kleidung eures Anführers je nachdem, welche Zivilisationen ihr zuletzt gewählt habt und in welchem Zeitraum ihr euch derzeit befindet. Das ist etwas, das Civilization bereits beim dritten Titel abgeschafft hat und weil ich solche kleinen Details sehr schätze, begrüße ich diesen Aspekt bei Humankind.

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Für neue Spieler bietet sich beim ersten Spieldurchlauf je nach gewähltem Schwierigkeitsgrad ein textbasiertes Tutorial an, das leider die gleichen Fehler begeht, wie viele andere Vertreter des Genres. Statt einer nachvollziehbaren und leicht verständlichen Einführung bekommen wir zu viele Informationen auf einmal. Das stört euch weniger, wenn ihr mit dieser Art von Spiel bereits vertraut seid, aber für Neulinge wird es Arbeit erfordern, in die verschiedenen Systeme einzutauchen. Eine andere Lösung, die sich Amplitude ausgedacht haben, besteht darin, dass wir uns einige speziell erstellte Tutorial-Videos ansehen können, die uns in das Game einführen. Diese sind gut gemacht und werden Neulinge besser einarbeiten, als es die Textbaukästen tun. Dennoch ist es bedauerlich, dass das Strategiegenre mit einem guten Trainingsmodus so sehr zu kämpfen hat. Gleichzeitig ist es nichts, worüber ich mich beschweren würde, denn die Werkzeuge sind da und das Spiel ist verhältnismäßig benutzerfreundlich.

Ihr könnt ein Match mit eigenen Einstellungen beginnen und im Vorfeld alle Details selbst festlegen. Es ist ähnlich wie bei jedem anderen Spiel dieser Art, deshalb gibt man euch viele Optionen an die Hand. Levelgröße, Seen, Kontinente und vieles mehr lassen sich anpassen. Mein größter Kritikpunkt ist momentan die Levelgröße, denn es gibt nur ein einziges Level, das für zehn Spieler geeignet ist. Ich habe eine Vorliebe für diese sehr chaotischen Herausforderungen, die wir in Galactic Civilization 3 und Stellaris erschaffen können. Was jedoch verfügbar ist, ist aber durchaus robust und gibt uns alle wichtigen Optionen, um ein anspruchsvolles Spiel zu erstellen. Gleichzeitig vermisse ich Mod-Support und einen Level-Editor, der sicher zu einem späteren Zeitpunkt nachgereicht wird.

Humankind beginnt in einer Zeitepoche, bevor sich die Menschen in Städten niederließen. Ihr habt noch keine Siedlung, könnt mit euren Einheiten aber bereits Pflanzen sammeln, Nahrung finden und versuchen, eine Ressource namens "Einfluss" zu produzieren. Mit dieser Währung werden später Außenposten (die Vorläufer einer Stadt) errichtet, die ihr irgendwann auch zu Städten weiterentwickeln könnt. Habt ihr das geschafft, erhaltet ihr euer erstes Territorium und in diesem Augenblick wählt ihr eure erste Zivilisation. Die Wahl bedingt verschiedene Spielmechaniken und sie bietet Möglichkeiten für Krieg, Diplomatie und dergleichen - wählt also mit Bedacht.

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Ihr könnt in Humankind auch zum Kriegstreiber werden, doch dafür benötigt ihr die anhaltende Unterstützung eurer Bevölkerung.

Die Karte ist, genau wie in Endless Legend, in Regionen unterteilt und ihr könnt in jeder maximal eine Stadt, bzw. einen Außenposten errichten. In den Städten lassen sich Gebäude und Stadtteile bauen, die sich auf Wirtschaft, Einfluss, Produktion oder Ernährung konzentrieren. Das Ganze fühlt sich wie eine Mischung aus mehreren Spielen des Genres an und es funktioniert ganz gut. Ich habe mich schnell zurechtgefunden und die Navigation geht einfach von der Hand. Jede Stadt hat auch eine Bevölkerung, die unterschiedlich zufrieden mit ihrem Leben sind. Es ist auch einfach, die Einwohner einer Stadt einem bestimmten Tätigkeitsfeld zuzuweisen - je nachdem, worauf ihr euch dort konzentrieren wollt. Mit diesen Funktionen können wir den Ertrag im Detail beeinflussen, ihr könnt eure Städte also nach Belieben spezialisieren.

Außenposten mit den eigenen Städten zu verbinden und das Territorium auf diese Weise zu vergrößern, fühlt sich ganz natürlich an. In Humankind könnt ihr allerdings nicht unendliche viele unabhängige Städte haben, ohne irgendeinen Nachteil zu erhalten, da das System der Beschränkung auf Kolonien in Stellaris ähnelt: Indem ihr Außenposten mit einer Stadt verknüpft, werden sie Teil dieser Stadt und ihr umgeht diese Restriktion. Statt zwei voneinander getrennten Städten erhaltet ihr also eine produktivere Stadt. Außenposten können billiger gebaut werden als Städte und selbst wenn sie nicht zu eurem Territorium gehören, können sie verwendet werden, um Ressourcen in angrenzenden Regionen zu erhalten. Es sind diese Regionen, um die sich das Machtspiel zwischen den verschiedenen Zivilisationen dreht.

Mir hat Humankind am meisten Spaß bereitet, wenn Imperien nach ein paar hundert Runden mit ihren Nachbarn um Ressourcen konkurrieren. Dann kommen die einzigartigen Spielmechaniken der verschiedenen Zivilisationen zur Geltung und die Auswirkungen von Industrien, wie etwa Umweltverschmutzung, werden auf einmal Teil der Gleichung. Sobald Kriege ausbrechen und See-, Luft- oder Bodentruppen unter Androhung nuklearer Detonationen miteinander kämpfen, ist alles ziemlich aufregend. Leider ist der Computer beim Eintritt in die Moderne normalerweise entweder tot oder noch so schwach, dass es solche Situationen eigentlich nicht gibt. Falls ihr aber noch starke Nachbarn habt, kann es am Ende des Spiels ziemlich hektisch werden. Obwohl das Diplomatie-System robust genug ist, um mit vielen Situation fertig zu werden, ist mir leider noch kein System wie der UN-Rat begegnet, der solche Zusammenbrüche theoretisch verhindern könnte.

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Ich finde es toll, dass wir nicht als Zivilisation spielen, sondern ein Volk auswählen, das sich von fremden Kulturen inspirieren lässt. Nachdem wir bestimmte Kriterien erreicht haben, also eine gewisse Anzahl an Herausforderungen abgeschlossen wurde, gelangen wir in die nächste Zeitepoche. Diese Aufgaben orientieren sich an der Formel: „Erforsche eine bestimmte Anzahl von Technologien" (von denen es viel mehr gibt als etwa in Civilization 6) oder „Baue genügend Distrikte". Wenn ihr das geschafft habt, könnt ihr eine neue Zivilisation auswählen, die im aktuellen Zeitraum existiert hat. Diese haben alle ihren eigenen Baustil, einzigartige Boni, Einheiten und/oder Gebäude. Ihr müsst euch auch nicht zwingend weiterentwickeln, aber die Vorteile überwiegen in der Regel.

Ziel des Spiels ist es, etwas namens "Ruhm" zu sammeln. Diese Siegpunkte generiert ihr durch unterschiedliche Dinge, der Bau eines Wunders fügt eurem Konto beispielsweise 100 Punkte hinzu. Ihr könnt auch besonderen Taten nachjagen, die nur einmal abgeschlossen und folglich nur von einem einzigen Spieler erreicht werden können. In einer vorgegebenen Anzahl von Runden müsst ihr mehr Punkte generieren als die anderen Spieler, also solltet ihr eure Nation so berühmt wie möglich machen. Um unterschiedliche Gewinnanforderungen zu erreichen, braucht ihr euch in Humankind nicht an einen bestimmten Stil zu halten, denn alles was ihr macht hat irgendeine Bedeutung, selbst wenn ihr diesen nicht gleich erkennt.

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Apropos Wunder, in Humankind kauft ihr euch das exklusive Recht, diese herrschaftlichen Gebäude mit Einfluss zu bauen. Niemand sonst kann ein solches Monument errichten, allerdings müsst ihr den Bau eines Projektes abschließen, bevor ihr die Produktion eines weiteren Weltwunders startet. Mit voranschreitender Spielzeit steigen die Produktionskosten natürlich. Das System ist großartig, denn es bietet in den frühen Abschnitten eine relevante Alternative zwischen Expansion, dem Ausbau der eigenen Gemeinschaft und Diplomatie/Kriegen. Es sind diese Entscheidungen, die die strategische Tiefe des Spiels untermauern.

In Humankind könnt ihr alle fünf Runden diplomatische Anfragen stellen (oder ihr bezahlt dafür, eure Mitspieler eher damit zu nerven) und diese Wartezeit schränkt den regen politischen Diskurs, den wir beispielsweise aus Stellaris oder Europa Universalis kennen, ein. Außerdem dürft ihr sogenannte Beschwerden einrichten, was man vielleicht aus Grand-Strategy-Titeln kennt. Eine Ursache für eine Beschwerde kann eine Religion sein oder Streitigkeiten mit einem dritten Staaten. Stellt ihr eine Beschwerde aus, könnt ihr vom anderen Spieler Schadensersatz verlangen und in einigen Fällen erhaltet ihr auf diese Weise eine fremde Stadt. Computergegner nutzen diese Strategie, um sich Vorteile zu erschleichen oder einen Kriegsgrund zu bekommen. Ich denke, das diplomatische System bietet ein gutes Maß an Komplexität, ohne zu schwerfällig zu sein.

Neben Technologie, Expansion und Diplomatie schaltet ihr mit wachsender Geschichte, technologischem Fortschritt und anderen Dingen ein separates Menü frei, in dem ihr auswählen könnt, wie sich eure Zivilisation in Bezug auf Gesetze und Regierungsformen aufstellen sollte. Die Änderungen haben großen Einfluss auf die nummerischen Werte in eurem Reich, deshalb könnt ihr eure Zivilisation auf diese Weise in unterschiedliche Richtungen laufen lassen. Man wird beispielsweise gefragt, ob es eine freie Presse geben sollte oder ob ihr lieber Propaganda durchsetzen wollt. Beides hat entsprechende Boni, doch ihr braucht ihr eine Menge Einfluss, um diese Dinge zu ändern.

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Der Computer hat manchmal ein wenig Mühe, die richtigen Entscheidungen zu treffen, aber auf höheren Schwierigkeitsgraden werdet ihr mehr als gefordert.

Der Kriegsaspekt ähnelt dem von Endless Legend, ihr könnt also mehrere Einheiten zu Trupps verbinden. Angenommen ihr habt drei Gruppen von Speerkämpfern und zwei Bogenschützen in einem Stapel, all diese Truppen positioniert ihr zu Beginn eines Kampes auf dem Schlachtfeld. Pro Runde habt ihr eine festgelegte Anzahl an Zügen zur Verfügung und ihr könnt diese Aktionen nutzen, um weitere Einheiten aus verschiedenen Richtungen in einen laufenden Kampf zu bewegen. Das ist sehr effektiv, wenn ihr flankieren möchtet, da jede Einheit unterschiedliche Vorzüge mit sich bringt. Fortgeschrittene Einheiten beeinflussen den Verlauf einer Schlacht auf unterschiedliche Art und Weise und die Umwelt hat ebenfalls einen Einfluss auf den Ausgang des Gefechts. Felsen, Erhöhungen und Flüsse werden also berücksichtigt.

Die Belagerungen sind etwas anspruchsvoller und nehmen auch mehr Zeit in Anspruch. Ihr könnt Handelsrouten belagern und Städte umzingeln, um Gegner im Laufe der Zeit auszuhungern. Ihr könnt außerdem auf Belagerungsgeräte zugreifen, um den Vorgang zu beschleunigen. Der Verlauf einer Belagerung ist komplexer als in Civilization, aber visuell ist es nicht ganz so beeindruckend wie Total War oder Stronghold. Krieg hat seine Kosten, doch genau wie die Diplomatie lohnt es sich manchmal. Um überhaupt zu den Waffen zu greifen, benötigt ihr in Humankind die Unterstützung der Bevölkerung. Wenn die Anzeige im Diplomatiefenster auf 0 sinkt, seid ihr dazu gezwungen, den Frieden auszurufen. Ihr müsst also sicherstellen, dass die Leute zufrieden mit den Fortschritten an der Front sind.

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Die KI ist nicht wirklich besser oder schlechter als ihre CPU-Konkurrenten in vergleichbaren Titeln, jedoch ist es unglaublich schwierig, auf härteren Schwierigkeitsgraden aufzuholen. Wollt ihr euch von Rückschlägen erholen, stehen euch in der Regel nicht viele Möglichkeiten zur Verfügung. Der Computer mag unterschiedliche Persönlichkeiten haben, sie verhalten sich aber nicht so individuell, wie es etwa in Civilization der Fall ist. Stattdessen bekommt man eine Gruppe halbwegs zufällig erstellter Charaktere vorgesetzt, die sehr anonym wirken. Wenn ihr gerne eigene Führungskräfte erstellt und eure Aktionen an ihnen reflektiert seht, damit kann Humankind aufwarten. Wer aber lieber auf Gandhi treffen möchte, der mit Atomwaffen seien Frieden einfordert, der muss ein anderes Spiel aufsuchen.

Humankind ist ein sehr komplexes Spiel, doch wenn ihr mit Civilization oder Endless Legend umgehen könnt, werdet ihr keine großen Probleme damit haben. Ist diese Reise durch die Menschheitsgeschichte eure Zeit also auch wert? Ich kann trotz einiger kitschig wirkender 2D-Zwischensequenzen (bei jedem Zivilisationswechsel) sagen, dass das Spiel bis zum Rand mit großartigem Gameplay gefüllt ist. Ich würde nicht behaupten, dass die preisgekrönte Serie von Sid Meier am Ende ihre Krone verliert, aber dieser Vertreter ist kompetent, klug, schön und er hat genügend Spieltiefe, um für lange Zeit zu beschäftigen. Dieses Spiel hat diese ominöse Magie, die einen dazu verleitet, selbst in den späten Abendstunden noch "eine weitere Runde" spielen zu wollen.

Ich persönlich denke, dass es sich bei Humankind um den bis dato besten Titel des Studios handelt. Und das liegt nicht nur daran, dass alle Spielmechaniken harmonisch zusammenarbeiten, sondern dass mich die Menschheitsgeschichte mehr beschäftigt als Fantasy und Science Fiction. Ich mochte Endless Legend und Endless Space (1 und 2), aber das hier hat mir direkt viel besser gefallen. Also ja; wenn ihr nach neuen, rundenbasierten Titel im 4X-Genre sucht, dann ist Humankind eure Zeit wert. Es gibt wenige Erfahrungen, die auf Anhieb einen so guten Eindruck bei mir hinterlassen konnten und deshalb kann ich mir vorstellen, dass ich damit noch Hunderte von Stunden verbringen werde.

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Es gibt keine klassischen Fraktionen in Humankind und deshalb entscheidet ihr euren Spielstil mit voranschreitender Spielzeit situationsabhängig.
09 Gamereactor Deutschland
9 / 10
+
solider Erzähler, mechanische Spieltiefe, leicht zu verstehen.
-
die KI stellt in ihren späteren Stadien keine große Bedrohung mehr dar, es fehlt ein robustes Tutorial.
overall score
ist die Durchschnittswertung von Gamereactor. Wie hoch ist eure Wertung? Die Durchschnittwertung aller Gamereactor-Redaktionen wird aus den Wertungen in allen Ländern erhoben, in denen es lokalen Gamereactor-Redaktionen gibt

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