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Gran Turismo 7

Gran Turismo 7 - The Real Driving Simulator

Christian hat sich für uns noch einmal hinter das Lenkrad geklemmt, um Polyphony Digitals neues Rennspiel aus der Sicht eines langjährigen Fans zu genießen.

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Es gibt diese Games, auf die freut man sich als Fan jahrelang. Es sind fast immer zweite oder neue Teile von Serien, die einen persönlich begleiten. Serien, die besondere Momente produziert haben. Gran Turismo ist so eine Serie für mich. Alle Teile davon habe ich lange gespielt. Vom "Real Driving Simulator" habe ich mehr als nur ein bisschen gelernt für den realen Straßenverkehr. Die legendären Lizenzen haben mir schon vor vielen Jahren erklärt und beigebracht, wie man ein Auto auf seiner Ideallinie perfekt bremsend und beschleunigend durch eine Kurve steuert.

Ich habe 2016 Kazunori Yamauchi getroffen und mit ihm über Gran Turismo Sport geredet. Habe selbst durchaus beeindruckt erlebt, wie jede Faser dieses Menschen für seine Spieleserie pulsiert. Kaum ein Spiel ist enger direkt mit einer Person verbunden. Yamauchi fährt selbst schnelle Autos im echten Leben - und er fährt sie schnell und gekonnt. Er will dieses Gefühl in sein Videospiel übertragen. Über 25 Jahre macht er das mittlerweile. Gran Turismo 7 markiert nun das Spiel zum 25. Geburtstag der Serie - inklusive der Lizenzen übrigens.

Vor Jahren hatte mein Freund Rainer einen schweren Autounfall auf der Autobahn. Ein Reifen platzte. Er flog mit dem Kombi seines Vaters seitlich in den Graben ab, rollte aufs Dach. Er wurde nur leicht verletzt. Und sagte mir danach, dass er glaube, nur wegen Gran Turismo keinen wirklich schweren Unfall gehabt zu haben. Er hat viele Stunden Gran Turismo mit mir gespielt in unserer ersten Berliner WG. Lizenzen, Rennen, Zeitrennen. Rauf und runter. Dabei ist ihm mehr als einmal das virtuelle Heck ausgebrochen. Instinktiv habe er damals das richtige gemacht bei dem realen Reifenplatzerunfall. Runter vom Gas. Nicht abrupt bremsen. Keine hektischen Lenkbewegungen. Alles Sachen, die schnelle Rundenzeiten in Gran Turismo garantieren - insbesondere bei den langsamen Autos, die sich die meisten von uns auch im realen Leben leisten können.

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Nun also Gran Turismo 7. Endlich - wie PS5-Erstkäufer, Fans und Sony-Mitarbeiter unisono brummeln. Die Erwartungen sind hoch, die Messlatte ebenso. GT Sport ist erfolgreich als hochentwickelter E-Sport-Profiableger der Serie. Auf der Xbox rast derweil die Forza-Serie umher, mit dem fünften Horizon-Stempel für Gelegenheitsrennspieler und mit Motorsport-Apendix für die Simulationsfans. Wobei die jenseits davon mittlerweile reichlich Auswahl haben - zumindest als PC-Spieler. An diesem Punkt, vor der ersten Haarnadelkurve nach der langen Geraden, lauert das vielleicht größte Problem für Gran Turismo 7 im Jahr 2022. Was will das Spiel sein und wie wird es wahrgenommen?

In der Unterzeile steht immer noch "The Real Driving Simulator". Ich finde, Gran Turismo 7 wird diesem Anspruch absolut gerecht - zumindest für mich als ambitionierten Gelegenheitsspieler, der kein Konsolen-Lenkrad mit Fußpedalerie mehr zuhause hat, aber durchaus anfällig ist, sowas zu kaufen. Ich würde mir aber niemals einen Playseat in den Keller oder sonstwo hinstellen. Und auch nicht versuchen, als E-Sportler erfolgreich zu sein. Ich möchte ein Rennspiel, dass so real wie möglich ist, ohne mich komplett zu überfordern. Ich möchte Simulation, aber ohne den Anspruch, dass alles auch wirklich absolut real ist. Ein Widerspruch für alle Sim-Fans, sicherlich auch einer für die Entwickler.

Aber ich finde, ein Videospiel darf und muss weiter auch unterhaltsam sein. Es muss sich meine kostbare Zeit erkämpfen. Und nur wenig davon will ich in einem schlechten Produkt versenken. Das ist Gran Turismo 7 natürlich nicht. Als Rennspiel ist es großartig. Die Autos liefern ein tolles Fahrgefühl, die Grafik ist absolut fantastisch auf der PS5-Version mit dem passenden OLED-4K-TV. Auch mit "schlechterer" Hardware sieht das Spiel immer noch toll aus.

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Dieses Rennspiel hat aus den Augen verloren, ob es ein Simulator sein will, reine Unterhaltung oder eine Software um mir zu erklären, wie ich gute Fotos knipse.
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Das Fahrgefühl mit dem neuen PS5-Controller ist wunderbar. Die Schultertasten reagieren sehr präzise auf kleinste Druckveränderungen. Noch nie bin ich so gefühlvoll durch eine Kurve gefahren und war jederzeit sicher, genau den Punkt zu spüren, an dem der Grip der Reifen sein Ende findet. Es ist das Pflichtprogramm für einen neuen Serienteil, hier besser als der Vorgänger zu sein. Noch besser. Gran Turismo 7 gelingt das ohne Zweifel. Das haptische Feedback und die adaptiven Trigger des Dualsense-Controllers sind mit das beste Erlebnis in Gran Turismo 7.

Aber es gibt auch einigen Grund zum Nörgeln. Wenn der fast bis zum Anschlag getunte Mini Cooper aus der 1960ern über den Curb abfliegt und sich überschlägt, tut er das nur angedeutet und steht schnell wieder auf vier Rädern. Das ist mir zu wenig Realismus. Es ist auch komisch, wenn ich in den normalen Rennen des Karrieremodus nicht dafür bestraft werde, vorausfahrende Autos in Rennen als Bremsklötze zu nutzen. Der Unfall ist einfach nicht richtig sichtbar hier. Im Online-Multiplayer sieht das ganz anders aus. Hier hagelt es sofort harte Sanktionen. Hier wird für mich am deutlichsten, dass Gran Turismo eben nicht so genau weiß, was es sein will. Mehr Arcade, mehr Spaß? Oder mehr Wettbewerb und Ernsthaftigkeit?

Und dann sind da die Momente, in denen alles einfach nur sehr merkwürdig ist. Wenn mich der Gebrauchtwagenhändler Andi siezt und es keine deutsche Sprachausgabe gibt, bzw. einfach überhaupt gar keine Sprachausgabe. Alle Menschen, die man an den illustren GT-Orten trifft, sind sprachlos. Und immer wieder ist alles sehr förmlich, übertrieben höflich. Der stocksteife Text wird in Unterzeilen durchs Bild geschickt wie in billigen Textadventures Anfang der 1990er Jahre, als die Speicherkapazität für Sprachausgabe fehlte. Traurig wird das insbesondere im Café.

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In Missionen spielen wir unterschiedlichste Szenarien durch, kleine Häppchen wie Beschleunigungs- und Drift-Rennen oder Erweiterungen der Aufgaben aus den Lizenzen.

Das Café ist der Hub für den Story-Modus. Hier sind Menübücher zum Erspielen verfügbar, mit unterschiedlichen Aufgaben nach dem Muster: Gewinne diese Autos in Rennen oder entdecke jenes Feature im Spiel. So lernen wir nach und nach einen Teil der über 400 Autos und 34 verschiedenen Rennstrecken bzw. Orte kennen, die zum Launch des Spiels am Start sind. Wenn ein Buch geschafft ist, erklärt uns Cafébesitzer Luca Details zu den neuen Autos. Manchmal sieht man sogar einen Designer, der ein interessantes Detail erklärt. Sony sagt, dass wir hier "auf ganz natürliche Weise mit der Geschichte und Kultur des Automobils in Kontakt kommen". Hier soll Motorsport gefeiert werden.

Das alles passiert in einem Spiel, für das zahlreiche weltbekannte Automobilhersteller eigene Konzeptwagen bauen, von denen dann teilweise sogar vollwertige und real existierende Prototypen gebaut werden. Was da an Geld reingeht, ist sicher enorm. Irgendwie traurig, dass dann das Geld für das Einsprechen von ein paar Zeilen Text fehlt. Diese Stimmen hätten Gran Turismo 7 Authentizität und Lebendigkeit geschenkt, viel davon. Stattdessen dominiert hier die staubige Stille. Gran Turismo wirkt aus der Zeit gefallen im direkten Vergleich zu Forza Horizon zum Beispiel.

Auch an anderen Stellen ist Gran Turismo 7 eher Relikt als Revolution. Das Intro alleine bedient olle Klischees rund um wagemutige Männer aus der Vergangenheit. Das ist so 1995, nicht 2022. Wie das gesamte Wording im Spiel. Ich meine, da steht echt: "Das ist Ihre 'Garage', ein Lagerraum für Ihre Autosammlung." Da will man, den Kopf leicht resigniert gesenkt, weggehen und in den Rauchschwaden eines coolen Burnouts langsam verschwinden.

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Es mögen Kleinigkeiten sein, aber ich finde, genau diese rauben Gran Turismo 7 die Chance, etwas ganz Großes sein zu können. Denn etwas Neues ist das Spiel einfach nicht. Es ist der auf Hochglanz polierte Polyphony-Supersportwagen, sponsored by Sony. Alles total okay und sinnvoll. Und rein technisch ziemlich am Limit. Der Grad an Realismus bei den Strecken und ihrer Beschaffenheit, irre. Extrem nah am Original, aber das war auch im vorherigen Teil und dem davor alles sehr gut. Neu sind so Dinge wie das Wettersystem, das eine erstaunliche visuelle Darstellung virtuelle Realität werden lässt. Das Fahrverhalten der Autos wirkt hier aktiv beeinflusst über die sinkende Reifentemperatur in langen Regenpfützenpassagen oder die schwächere Motorleistung.

Gran Turismo 7 will Autos und Autokultur feiern. Tut es auch, aber ich finde, einem Forza Horizon 5 gelingt das besser - ganz bestimmt jedenfalls aus Sicht eines Menschen, der einfach nur ein Rennspiel will. Der Vergleich ist nicht ganz fair, aber die beiden Spiele gehen nun mal halbwegs gemeinsam an den Start. Dirt 5 ist schon zu alt - und hat einen ganz anderen Ansatz. Ein Beispiel noch: So toll und - wieder einmal - technisch irre der Scapes-Modus ist, in dem wir unsere Autos in über 2500 HDR-Fotos aus der ganzen Welt packen können, um sie zu inszenieren. Es bleibt ein Appendix für ein Rennspiel, dass aus den Augen verloren hat, ob es ein Simulator sein will, reine Unterhaltung oder eine Software um mir zu erklären, wie ich gute Fotos knipse.

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Das Fahrverhalten der Autos wirkt aktiv beeinflusst über die sinkende Reifentemperatur in langen Regenpfützenpassagen oder die schwächere Motorleistung.

Hätten sie in Scapes nur 200 Fotos gepackt und dafür eine deutsche, spanische und französische Sprachausgabe ergänzt und mehr Zeit in noch mehr Missionen investiert, es wäre wohl schlauer gewesen. Die Missionen ergänzen das Konzept der Menübücher. In Missionen spielen wir unterschiedlichste Szenarien durch, kleine Häppchen wie Beschleunigungs- und Drift-Rennen oder Erweiterungen der Aufgaben aus den Lizenzen. Diese schnell servierten Sachen lockern das Erlebnis auf.

Gran Turismo 7 ist ein tolles Spiel, keine Frage. Es liefert auf hohem Niveau ab, alles andere wäre auch ein Skandal gewesen. Wer eine PS5 hat, muss es quasi haben. Aber es ist kein wegweisendes Werk, das eine neue Richtung aufzeigen würde. Optisch setzt es einen hohen Standard für Konsolenrennspiele, den die Rennspieljunkies aber am PC bereits kennen. Und da alle Spiele mittlerweile wirklich sehr, sehr schön aussehen, ist auch dieser Unterschied eher marginal als sensationell. Jenseits aller Kritik ist und bleibt Gran Turismo aber eine Instanz im Rennspielmarkt. So wie Mercedes im Automarkt. Überzeugend und hochwertig, aber eben auch ein bisschen zu seriös und spaßbefreit.

09 Gamereactor Deutschland
9 / 10
+
Dualsense-Funktionen erheben das Fahrgefühl, gewaltiger Umfang an Automarken, aufwändiges Wettersystem. Hier wird Motorsport gefeiert.
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Das Spiel sucht seine eigene Identität, keine deutsche Sprachausgabe, Unfälle werde nicht dargestellt, ein bisschen spießig.
overall score
ist die Durchschnittswertung von Gamereactor. Wie hoch ist eure Wertung? Die Durchschnittwertung aller Gamereactor-Redaktionen wird aus den Wertungen in allen Ländern erhoben, in denen es lokalen Gamereactor-Redaktionen gibt

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