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Borderlands

Borderlands

Ein Action-RPG-Shooter will Borderlands sein. Kuchen und Eiscreme gleichzeitig. Menschen mit Knarrenfetisch finden auf dem Planeten Pandora ein neues Zuhause. Ebenso wie die lange Zeit heimatlosen Fans von Phantasy Star Online.

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Steve Palmer sitzt vor einem Flachbildfernseher in einem Präsentationsraum auf der Gamescom und macht das, was er für die kommeden Tage mindestens acht Stunden täglich machen wird. Er spielt Borderlands. Ein Game, an dem er seit Jahren hauptamtlich herumproduziert. Mittlerweile ist es offiziell ein Action-RPG-Shooter. Die endgültige Verknüpfung von Rollen- und Ballerspiel. Oder Kuchen und Eiscreme, wie der schwedische Kollege Bengt Lemne sagt. Früher durfte man immer nur eins von beiden haben. Jetzt geht beides auf einmal.

Borderlands ist, wenn es am 23. Oktober 2009 veröffentlicht wird, das Resultat einer Jahrhundertaufgabe. Zumindest, wenn wir Randy Pitchford glauben, dem Gearbox-Endboss, der ein gutes Stück neben Steven Palmer vor einem riesigen Flachbildfernseher steht und den anwesenden Journalisten sein Baby erläutert. Enthusiastisch wie immer. Die Kollegen gucken ein bisschen gelangweilt und müde nach vorne. Ich möchte ihnen zuschreien: Leute, passt auf, das ist echt ein gutes Game hier. Aber das wäre ja unhöflich.

Neben Steve Palmer kehren uns noch drei Gearbox-Mitarbeiter vor ihren Fernsehern den Rücken zu. Gemeinsam demonstrieren sie live jenen Online-Vierspieler-Modus, den ihr Boss als Spiritus Rector für uns erläutert. So weit nichts besonderes. Aber eines, eines ist anders als bei allen Präsentationen, die ich auf der Gamescom gesehen habe. Außer bei der von Red Steel 2 vielleicht. Die vier Berufsspieler machen hier bestimmt die zehnte Demo. Und sie haben trotzdem offensichtlich, unüberhörbar und ebenso unübersehbar richtig Spaß dabei. Trotz des enormen Stresslevels, das so eine Messe mit sich bringt.

Sie lachen, feixen, positiver Wettbewerb ist spürbar. Zwei rammen sich absichtlich mit ihren Mad Max-Buggys (einer davon übrigens pinkfarben) und Steve knallt chancenlos in eine Felswand. Lautes Gelächter bei allen. Nach erfolgreichem Bossfight kloppen sie sich um die Items, die der Obermotz Skagzilla nach seiner Auslöschung hat fallen lassen. Alle blauen Items sind selten, alle lilafarbenen ultra-episch-selten (Pitchford-Zitat). Klar, wo nun alle gleichzeitig hinrennen. Und tatsächlich diskutieren die vier während der Präsentation über die Wertigkeit der gerade gefundenen Items. Komplett assimiliert sind die - nicht der einzige Moment, an dem bei und mit Borderlands Erinnerungen wach werden an Phantasy Star Online und warum das vor fast einem Jahrzehnt so ein unglaublich schönes Spiel war.

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Kurzer Sprung von Köln nach München. In einer abgerockten Metalkneipe bekommen einige Journalisten Ende Juni die Chance, Borderlands selbst anzuspielen. Mein erklärter Lieblingsmoment damals: Eine fiese Beutelratte hängt bereits an der Halsschlagader, zwei weitere kommen angestürmt. Ich taumele hin und her, mein Sichtfeld verfinstert sich. Jetzt muss es schnell gehen. Hektisch schlage ich um mich, ohne Erfolg. Dann ballere ich mit der gerade modifizierten Knarre auf den Schädling ein. Die letzte Kugel im Magazin reißt ihn in den Tod, sogar mit einem kraftvollen, kritischen Treffer. Der rettende Schuss, dieser Treffer holt mich zurück ins Leben. In Borderlands wartet nämlich eine zweite Chance auf jene, die kurz vor dem Exitus die Nerven behalten und einen Feind ausknipsen. Geiler Cliffhanger-Moment, der in schöner Regelmäßigkeit den Puls ankurbelt.

Ich sammele das Zeug ein, das die Ratte fallen gelassen hat. Looting nennt das Randy Pitchford. Ist ohnehin so ein Borderlands-Trademark-Satz von ihm: „Borderlands is all about looting." Es geht ums Sammeln, keine Frage. Über 15 Millionen Waffenkombination und Upgrades können theoretisch erstellt werden. +46 Prozent Schaden und ein bisschen Feuer gegen Beutelratten hätte ich grad jedenfalls gut gebrauchen können.

Das Borderlands-Universum lebt zu einem guten Teil von der Sucht des Einsammlers. Und es gibt wahrhaft reichlich zu finden. Anfangs fast nur Munition, Lebensenergiespender, Geld, einige Waffen. Später dann Rüstungen, Verbesserungen, seltene Artefakte - eingeteilt in mehrere Klassen. Die Sammelleidenschaft nützt übrigens sowohl im Einzel- wie im Online-Mehrspieler-Koop-Modus: Der Charakter ist überall gleich, behält immer alle Ausrüstungsgegenstände.

Es sind Details wie diese, die aus Borderlands am Ende wohl doch noch ein richtig gutes Game machen. Aber diese vielen Ideen waren und sind auch das größte Problem für das Gearbox-Team rund um Randy Pitchford. Sie entwickeln bereits seit einer halben Ewigkeit an Borderlands. Vor knapp zwei Jahren wurde es auf der Games Convention in Leipzig erstmals vorgestellt - und hatte damals bereits 20 Monate geheime Entwicklungszeit auf dem Buckel. Mittlerweile sind vermutlich 10.000 Ideen dazugekommen und verworfen worden, es wurde modifiziert und verbessert. Offensichtlichstes Resultat: Borderlands sieht aus wie eine zum Spiel gewordene Konzeptzeichnung. Manche nennen das Cel-Shade-Grafik. Die Optik polarisiert und wird nicht alle glücklich machen. Mich macht sie glücklich, denn sie erzeugt ein tolles Heimatgefühl. Damals, Ragol. Phantasy Star Online, noch einmal.

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Letztes Jahr noch hat Randy Pitchford Borderlands als das Diablo der Action-Shooter verkauft. Dieser Kern ist erhalten geblieben. Allerdings ist Borderlands nun zum ausgewachsenen Rollenspiel-Shooter mit starkem Actionanteil geworden. Das Setting von Borderlands erinnert anfangs sehr an Fallout 3. Ein einsamer, kaum bewohnter Planet namens Pandora. Vereinsamte Ödnis, in der wir ausgesetzt werden. 30 Handlungsstränge mit zahlreichen Untermissionen warten im Einzelspielermodus, 20 Stunden Spielzeit sind im Schnitt kalkuliert. Wer den eigenen Charakter auf das derzeitige Maximum von 50 hochleveln will, braucht mindestens 60, eher aber 100 Stunden, freut sich Pitchfork. Natürlich soll es auch Inhalte zum Herunterladen geben. In welchem Ausmaß, das entscheidet am Ende wohl die Performance des Titels an der Kasse.

Die Entscheidung für eine der vier Charakterklassen ist auch in Borderlands nicht einfach. Es gibt den Infanteristen Roland, den Scharfschützen Mordekai, den Berserker Brick und eine Dame, die Sirene Lilith. Der Berserker kann im Laufe der Zeit etwa die Spezialfähigkeit Rage entwickeln. Brick zertrümmert im Ragemodus die Gegner im Nahkampf regelrecht, was vor allem körperlich schwächeren Charakteren wie den Scharfschützen im Ernstfall zu Gute kommt. Die Sniper können übrigens ein Haustier zur Seite haben: einen Falken, der von oben mit ins Gefecht eingreift. Die Infanteristen dagegen überzeugen durch Feuerkraft, geben aber auch dem Begriff „Friendly Fire" eine neue Dimension, wenn sie mit heilenden Patronen das eigene Team gesund schießen. Die Möglichkeiten der Entwicklung sind enorm. Jedem Charakter stehen drei wesentliche Entwicklungsausrichtungen mit dazugehörigen Spezialfähigkeiten zur Verfügung, je nachdem ob wir uns eher offensiv oder defensiv ausrichten wollen.

In der Mehrspielerdemo streifen wir zu Viert durch ein Gebirge. Spieler können offline wie online jederzeit in ein bestehendes Abenteuer einsteigen - losgelöst vom Level. Wer als Neuling mit einem Veteranen unterwegs ist, wird aber relativ schnell merken, dass er in bestimmten Gebieten noch nichts verloren hat. Über mehrere Höhenebenen streben wir also gemeinsam einem Plateau entgegen, wo eine böse Überraschung wartet: enorm große, spinnenbeinige Aliens, die Feuerangriffe starten und das Team mit Blitzen bombardieren. Ich feuere das Scharfschützengewehr ab. Jeder Treffer wird mit einer Zahl quittiert, die aus dem Monster rausfliegt. Der Treffercount ist Schuss für Schuss sichtbar, nicht jedoch, wie viel Energie der Gegner insgesamt zur Verfügung hat. Noch so eine PSO-Referenz. Ich gehe mehrere Male drauf, weil mein Team mich nicht schützt. Ohne gute Taktik wird das hier nichts.

Teamplay ist ein essenzieller Teil des Multiplayers von Borderlands. Ein Beispiel aus der Demo: Das Ziel ist ein Schweinebraten in einem Banditencamp, um die Riesenratte Skagzilla anlocken zu können. Lilith aktiviert ihre Schleichfähigkeit, macht sich unsichtbar und rennt mit Hyperspeed los. Sie erreicht unbemerkt den knusprigen Braten, überrumpelt die Banditen mit einem Betäubungsimpuls und der Rest vom Team erledigt die Drecksarbeit. Ein Fünfsekundenmassaker - und wieder grinsen sich die vier Gearbox-Demospieler an. Ich grinse mit.

Wobei es mit der Freundschaft im Spiel auch schnell vorbei sein kann. Sammelt jemand eine vom Monster fallen gelassene Waffe auf und geht (wie man das so macht als alter Sammler) ins Statusmenü für einen schnellen Check, kann ein Mitspieler genau diesen Moment nutzen, um die Waffe zu klauen. Der beraubte Spieler muss den Dieb verfolgen und kann ihn zum Duell auffordern, um die Besitzverhältnisse zu regeln. Dazu wird eine Kuppel über die beiden Streithähne gesetzt und sie dürfen die Angelegenheit sozusagen vor der Tür regeln.

Erfahrungspunkte gibt es für diese Kämpfe keine. Und wer sich richtig kloppen will, der kann eine der zahlreichen Arenen aufsuchen, die in der riesigen Borderlands-Welt verteilt sind. Dort gibt es spezielle Duell-Möglichkeiten, zu denen sich Gearbox allerdings noch nicht weiter geäußert hat. Gegenstände dürfen natürlich jederzeit mit anderen Spielern getauscht oder an einem der zahlreichen Automaten im Spiel zu Geld gemacht werden. Leider geht das meistens sofort wieder für neuen Stuff drauf.

Nach der ersten Dreiviertelstunde eigener Spielzeit mit Borderlands bleibt (zumindest bei mir) die Gewissheit, dass ich das unbedingt spielen will. Lange spielen will. Der eher bunte Grafikstil gefällt und konterkariert das Setting auf dem sonst eher sepia-farbenen Ödnis-Planeten perfekt. Das Sammelfieber setzt binnen Minuten ein. Ich habe immer auf einen legitimen Nachfolger von Phantasy Star Online gewartet. Borderlands könnte das endlich sein. Ist das so, habe ich kommenden Herbst ein real existierendes Zeitproblem!

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KRITIK. Von Christian Gaca und Ingo Delinger

Borderlands ist alles auf einmal - und am Ende ein richtig toller Action-RPG-Shooter. Wir waren Items jagen auf Pandora, bis Level 50.



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