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Beyond: Two Souls

Beyond: Two Souls

David Cage versucht mit Quantic Dream erneut, eine ambitioniertes Geschichte zu erzählen und uns etwas zu geben, das mehr sein will als nur ein Videospiel.

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Lieber David Cage, das alles für Angst vor den Monstern, die unterm Bett wohnen - jetzt ernsthaft? Das habe ich anfangs gedacht, dann den Kopf geschüttelt. Aber am Ende, einem der möglichen Enden, die du dir ausgedacht hast für Beyond: Two Souls, da habe ich verstanden, worum es dir geht. Man spürt diese Angst in deinem Spiel. Erinnert sich physisch wieder daran, wie sich das anfühlt: alleine zu sein. Vielleicht ist es auch nur bei mir so, mit meinem Schicksal. Aber ich finde, es ist das größte Verdienst von Beyond: Two Souls. Es ist ein Spiel, das ungemein starke und wahrhaftige Emotionen erzeugt. Ich habe geweint, zwei Mal. Wann schafft das ein Videospiel schon?

Geschichten erzählen und sie uns dabei selbst fortschreiben lassen, es ist dein großes Talent. Irgendwie ein sehr französisches Talent, vielleicht denke ich das auch nur, weil du mich an Boris Vian erinnerst. Ist ein Kompliment, übrigens. Du hast mit Ellen Page als Jodie Holmes und William Dafoe als Nathan Dawkins zwei herausragende Schauspieler engagiert, deren Gesichtszüge erstaunlich in das Spiel übertragen wurden. Die schauspielerische Leistung in diesem Videospiel ist herausragend, ebenso wie die deutsche Synchronisation. Obwohl jeder, der sich traut, das Spiel unbedingt im englischen Original erleben sollte.

Man fragt sich trotzdem unweigerlich, warum du nicht "einfach" einen Film gedreht und den mit ein paar CGI-Effekten für das übernatürliche Zeug garniert hast? Die Antwort ist leicht: Man dürfte nur zuschauen, nicht mitmachen und mitentscheiden. Keine Ahnung, wie ich das nächste nun charmant sagen soll? Aber nun kommen eine ganze Menge Abers. Zum Glück immer wieder durchbrochen von großem, von ehrlichem Lob.

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Die schauspielerische Leistung in diesem Videospiel ist herausragend, ebenso wie die deutsche Synchronisation.

Meine Kritik ist die eines langjährigen Videospielers und Filmfans. So einer realisiert schnell, dass in deinem Videospiel vieles einfach viel zu langsam geht. Jodie wirkt häufig so extrem wie ihre eigene Zeitlupe. Immer fester drückt man auf den Knopf in der Hoffnung, sie möge endlich sprinten. Oder wenigstens mal einen forschen Schritt wählen, der inhaltlich zur gerade sehr hektischen Situation passt. Macht sie nicht.

Alle Hauptdarsteller und insbesondere Jodie sind fantastisch animiert im Gesicht. Wir spielen 15 Jahre ihres Lebens, in über 20 Episoden. Wir sehen alle Protagonisten altern, was wirklich grandios umgesetzt ist. Erzählt wird die Geschichte in mehreren Strängen, die aus unterschiedlichen Lebensabschnitten auf einen Höhepunkt zulaufen. Wir erleben Jodie als Kind, als Teenager, als angehende CIA-Agentin und auf der Flucht. Wechseln immer wieder hin und her in ihrem Leben, perfekt inszeniert ist das. Doch sobald wir sie steuern, ist da für einen Videospieler diese Distanz. Jodie bewegt sich statisch und hölzern. Ihre Bewegungen wirken einfach nicht natürlich, was im krassen Gegensatz zu allen Szenen steht, in denen Gesichter die Hauptrolle spielen.

So schleichen wir also sehr viel durch das Spiel auf der Suche nach kleinen weißen Punkten, die auf eine Interaktion hinweisen. Intuitiv drückt man den Analogstick in die Richtung des Punktes und schon öffnet Jodie Türen, spielt Gitarre oder zieht sich einen Tiefseetauchanzug an. Das ist besser gemacht als es sich jetzt liest. Leider schleicht man immer wieder mal im Kreis um die Türklinke herum, um den Punkt in den Fokus zu bekommen. Die Kameraführung ist eben cineastisch angelegt, kann darum zickig sein. Und natürlich muss es in deinen Spielen Quicktime-Events geben. Aber warum?

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Alle Hauptdarsteller und insbesondere Jodie sind fantastisch animiert im Gesicht.

Das forcierte Knöpfedrücken steht synonym für schlechtes Gamedesign. Es sind zum Glück nicht so viele Quicktime-Events, als dass sie einen nerven würden wie bei Fahrenheit oder Resident Evil 6. Aber immer wieder lenken sie ab vom Geschehen, sprengen die Immersion. Und dazu diese teilweise absurd komische Steuerung mit dem Sixaxis-Controller und dessen Bewegungsfeatures. Hektisches Herumrütteln, um von einem Dach zu springen. Den Controller nach links und rechts drehen, um zu schwofen. Echt jetzt? Das hat doch Sony vertraglich eingefordert, dass wenigstens du diese Features benutzt, oder? Denn immer wieder verzichtest du ja auch darauf. Oder zeigst mit Aiden, dass es besser geht.

Aiden ist der zweite spielbare Charakter - ein Geisterwesen, verbunden mit Jodie. An vielen Stellen im Spiel können wir per Knopfdruck in Aidens Perspektive wechseln. Dann suchen wir blaue Punkte, mit denen Aiden interagieren kann. So schmuggelt er sich in andere Körper ein, damit sich für Jodie gefährliche Situationen lösen. Aiden kann verwirren, nerven und töten. Er ist ein spannendes Spielelement, täuscht aber auch nicht über die Probleme jenseits der großartigen Geschichte hinweg.

Dein Spiel, David Cage, es sieht streckenweise wirklich wahnsinnig gut aus. Aber alles das ist auch mehr Kulisse für die Geschichte als alles andere. Die Freiheit ist sehr stark eingeschränkt. Wir dürfen selten wirklich etwas erforschen, werden immer sehr bestimmt an die Hand genommen. Jodie kann ihrem Spiel kaum entkommen, Aiden ein bisschen mehr. Hast du für Jodie ein Ziel ausgesucht, wir Spieler müssen uns beugen. Wer etwas anderes will, wird sanft wieder zurückgeschubst. Mir ist schon klar, dass es vielleicht kaum anders geht. Dass man Spieler daran hindern muss, ein Spiel zu erkunden, wenn man eine derart starke Geschichte erzählen will. Aber dann muss man sich auch fragen lassen, ob ein Film nicht doch besser gewesen wäre.

Beyond: Two Souls
Aiden ist der zweite spielbare Charakter - ein Geisterwesen, verbunden mit Jodie.

Mir machen die Einschränkungen nichts aus. Ich nehme sie hin, lege das Erkunden nach der ersten Episode zu den Akten. Freiheit in Beyond: Two Souls heißt Entscheidungen fällen zu können und Situationen aufzulösen. Insofern ist das hier wirklich eher "nur" eine Geschichte, die wir selbst fortschreiben. Weniger ein Videospiel, sondern doch "nur" ein interaktives Entertainmentprodukt. Ein Videospielfilm vielleicht...

Die Möglichkeiten in Beyond: Two Souls sind verlockend. Man wird sich häufig hinterher die Frage stellen, was passiert wäre, wenn man etwas anders entschieden hätte. Welchen Weg man gehen wird, es hängt stark davon ab, was man tut. Wie zurückgenommen man agiert oder wie offensiv. Einzelne Episoden können durch bestimmte Entscheidungen sehr viel länger oder kürzer ausfallen. Auch das eigene Geschick bei den Quicktime-Events oder den Zeitlupenkampfszenen (die ja auch nur Quicktime-Events mit dem Analogstick sind) beeinflusst, was wir erleben werden. Wer "versagt", wird schon mal damit bestraft, eine fette Szene weniger serviert zu bekommen. Jenseits davon bewertet uns das Spiel aber nie. Das ist explizit toll.

Schade ist dagegen, dass die Handlungen, vor allen Dingen die verfehlten, innerhalb einzelner Passagen dann immer wieder doch keine Konsequenzen haben. Mehrfach verpasste Quicktime-Events halten Jodie nicht davon ab, es immer wieder zu versuchen, eine Steinwand hochzuklettern. Das vorher noch perfekt inszenierte Hetzegefühl wird dadurch völlig zerstört. Die hechelnden Hunde kommen einfach nicht, die wild suchenden Cops auch nicht. Dafür darf Jodie viele Male versuchen, die Wand hinaufzuklettern. Bis es endlich klappt. Hätte sie hier einfach hochklettern dürfen wie in einem Assassin's Creed, es wäre viel besser gewesen.

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Man wird sich häufig hinterher die Frage stellen, was passiert wäre, wenn man etwas anders entschieden hätte.

Momente wie dieser, lieber David Cage, sie machen deutlich, dass es immer noch hakt bei deinen Videospielen. Auch Beyond: Two Souls ist zu sehr ein interaktiver Film. Und wenn derjenige, der ihn steuert, Fehler macht, wird dies zur existenziellen Bedrohung für den vernünftigen und geplanten Fortgang der Story wie du sie erzählen willst. An anderen Stellen ist das besser gelöst, da führt Nichtstun etwa unweigerlich dazu, dass die Story einen anderen Verlauf nimmt. Und man sich wieder fragt: Was wäre wenn?

Nun, es sind ohnehin IMMER die eher leisen Töne, die gelungen sind. Alle Action-Episoden wirken dagegen unbeholfen, fast etwas gezwungen und natürlich immer viel zu langsam. Es liegt in der Natur des Spielkonzeptes. Beyond: Two Souls ist eben eher ein grafisch unglaublich pompöses Point'n'Click-Adventure. Sorry, David, wenn das jetzt etwas böse klingt, aber genauso ist es. Und das macht es nicht schlechter. Geschichten erzählen, das kannst du verdammt gut. Und Gesichter animieren, die mir wirklich Erstaunliches offenbaren. Mich an deinen Emotionen teilnehmen lassen. Du hast es auch geschafft, mir mehrmals einen eiskalten Schauer den Rücken hinunter zu schicken. Die Methode: einfach, aber effektiv. Alfred Hitchcock wäre trotzdem stolz.

Aber ein dynamisches und schickes Videospiel wie Bioshock Infinite, das ist Beyond: Two Souls nun wirklich nicht. Jedes Mal, wenn ich das Kommando über Jodie bekomme, weiß ich, dass es nun langsam wird. Vielleicht ist es genau das, was mich am meisten stört: diese verfluchte Langsamkeit. Mag sein, dass es die innere Unruhe ist, sich heutzutage immer weniger einer Sache in Ruhe widmen zu können. Anderseits hab' ich ausschweifend GTA V gespielt und da tatsächlich in aller Ruhe alles mögliche gemacht.

Beyond: Two Souls
Egal, welchen Weg man wählt, am Ende erlebt man eine unglaublich starke Geschichte über Verrat und Tod.

Ach, leider nerven mich so viele Kleinigkeiten. Dass man nicht immer die volle Rundumsicht hat in jeder Szene. Du zwingst uns eine Kamerasicht auf wie im Film und damit irgendwie auch eine Weltsicht. Einerseits kann man darum nie selbstbestimmt die Spielwelt anschauen. Anderseits bleibt immer das Gefühl, in einem Kanal zu stecken und all das links und rechts nur als Kulisse sehen zu dürfen. Ein bisschen wie die Truman-Show. Anderseits durchbrichst du das mit Aiden auch immer wieder.

Das Date von Jodie und Ryan zum Beispiel, einfach großartig. Ich könnte es sabotieren oder die beiden machen lassen. Könnte das Appartement verwüsten, das Essen anbrennen lassen, den Rotwein verschütten, Bilder von der Wand rütteln, Tische verrücken. Oder einfach gar nichts tun. Viele viele Möglichkeiten, ein kompletter zweiten Durchgang wird zur Pflicht. Nochmal zehn, zwölf, vierzehn Stunden. Ginge auch im Koop: einer als Aiden, einer als Jodie. Aber Storys wie diese will man lieber alleine erleben.

Egal, welchen Weg man wählt, am Ende erlebt man eine unglaublich starke Geschichte über Verrat und Tod. Über das Verlassenwerden und die Traurigkeit. Über Verlust und Hass. Man sieht viele Tränen. Wie gut du Tränen und Trauer inszenieren kannst, David Cage, das ist schon bemerkenswert. Darum wird auch viel geweint in diesem Spiel. Anlass dafür gibt es reichlich, im Großen und viel mehr noch im Kleinen.

Ich saß manchmal da und habe einfach nur gewartet, dass endlich etwas passiert. Gewartet und gehofft. Die siebte Kameraseinstellung der weinenden Jodie angeschaut. Ihr Schluchzen gehört. Und mit ihr gelitten, ganz real. Das ist schon eine wertvolle Erfahrung. Meine Mutter starb, als ich zehn Jahre alt war. Es tut heute noch weh. Du hast mit diesem Schmerz gespielt, auf eine gute Art. Du hast mir gezeigt, wie real manche Wünsche sind und wie sinnlos. Wie gesagt, ich habe geweint. Danke dafür.

08 Gamereactor Deutschland
8 / 10
+
Großartige und toll erzählte Story, absolut überzeugende Hauptdarsteller, echte Ernsthaftigkeit
-
hölzerne Animationen im Spiel, Jodie bewegt sich oft unglaublich langsam,
overall score
ist die Durchschnittswertung von Gamereactor. Wie hoch ist eure Wertung? Die Durchschnittwertung aller Gamereactor-Redaktionen wird aus den Wertungen in allen Ländern erhoben, in denen es lokalen Gamereactor-Redaktionen gibt

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