Mit dem Tod des allmächtigen Schöpfers beginnt in Shin Megami Tensei V der Zerfall der uns bekannten Welt. Verschiedene Fraktionen kämpfen seitdem um das Recht, die Welt nach ihren Vorstellungen neu zu formen und wir finden uns eines Tages inmitten dieses fortlaufenden Konfliktes wieder. Durch die Fusion mit einem mystischen Wesen verwandelt sich unser stummer Protagonist zu Beginn des Spiels in einen sogenannten „Nahobino", der schier endloses Potential besitzt. Während wir mehr über uns und die wahre Natur dieser Welt herausfinden, begreifen wir mit der Zeit, dass uns unsere Macht ebenfalls dazu erhebt, am Wettstreit, der die Zukunft der Welt bestimmt, teilzunehmen.
Wenn ihr mit Shin Megami Tensei nicht vertraut seid, dann hilft vielleicht der Vergleich zu Pokémon. Spielerisch sind viele Parallelen zwischen den beiden Serien vorhanden, denn auch in diesem Rollenspiel sammelt man Kreaturen, die man ausbildet, um stärkere Exemplare zu erhalten. Im Gegensatz zu Game Freaks Taschenmonstern bewerfen wir die ausgewachsenen Engel und Dämonen aber nicht mit kleinen Bällen, sondern überreden sie in verstrickten Verhandlungen dazu, uns beizutreten. Das ist ein traditioneller Teil des Reihe, bei dem man auf die Persönlichkeit seines Gegenübers eingehen muss, um verschiedenen Figuren zu beeindrucken (oder sie Items und Geld zu bestechen).
Die Kämpfe laufen rundenbasiert ab und genau wie in Pokémon gibt es Affinitäten und Typschwächen, die den verursachten Schaden bestimmt. Eine Besonderheit von Shin Megami Tensei ist das sogenannte Press-Turn-System, das kritische Angriffe mit einer weiteren Aktion belohnt. Wer seine Fähigkeiten schlau an seine Gegner anpasst, kann aus einem Zug deutlich mehr herausholen und somit selbst schwierige Feinde besiegen. Eure Widersacher können davon aber ebenfalls Gebrauch machen, was man immer im Blick haben muss. Das Weitergeben und Vererben von passiven Merkmalen und aktiven Fähigkeiten ist ein elementarer Bestandteil dieser Spiele, der dem Kampfsystem enorm viel Spieltiefe verleiht.
Bis man das alles verinnerlicht hat, vergehen einige Stunden und deshalb werden es gerade Neulinge in Shin Megami Tensei V schwer haben. Der Titel kann einem das Gefühl geben, vollkommen chancenlos zu sein, doch manchmal kann eine einzige Fähigkeit oder ein nützliches Item aus einer schier unlösbaren Aufgabe einen Spaziergang im Park machen. Selbst auf dem normalen Schwierigkeitsgrad werdet ihr viel Zeit in verschiedenen Menüs verbringen, um starke Dämonen mit hilfreichen Fähigkeiten heranzuzüchten oder um potentielle Schwächen in euren Strategien anzupassen. Der Anspruch ist hoch und weil nicht automatisch gespeichert wird, dürft ihr nicht mal beim Grinden nachsichtig werden.
Atlus hat sich auch diesmal dazu entschieden, den neuesten SMT-Ableger auf einer Nintendo-Konsole zu veröffentlichen. Diese Nintendo-Switch-exklusive Installation ist für die Serie ein gewaltiger Schritt, denn die zerstörte Welt von Da'at bietet ausladende 3D-Kulissen, deren zerstörte Überreste wir frei erkunden werden. Der klassische Labyrinth-Charakter der alten Teile verschwindet dadurch weitestgehend, und obwohl wir uns noch immer hauptsächlich durch lineare Kartenabschnitte arbeiten, entsteht das Gefühl von verzweigten, offenen und durchaus vertikalen Gebieten. Der grundlegende Spielablauf bestehend aus Kämpfen und Gesprächen wird diesmal sogar durch Plattforming-Elemente aufgebrochen, wie wir sie aus 3D-Adventures kennen.
Der Sprung vom 3DS ist natürlich gewaltig, doch im Vergleich zu aktuellen Vorzeige-Rollenspielen, wie zum Beispiel Bandai Namcos jüngste Veröffentlichungen, ist die rein technische Präsentation dieses Unreal-Engine-4-Spiels geradezu verhalten. Die Hardware hat natürlich so ihre Probleme damit, einem agilen Gott in einer frei erkundbaren, urbanen Umgebung zu folgen. Die surreale Welt Da'at leidet unter den technischen Einschränkungen am stärksten, denn die geringe Weitsicht wird den schieren Weiten und Ausmaßen dieses unvorstellbaren Raumes nicht gerecht. In sehr geschäftigen 3D-Abschnitten sinkt die Bildrate zudem in die Knie, wie ich es am ehesten aus Hyrule Warriors: Zeit der Verheerung kenne.
Die neu gefundene Bewegungsvielfalt tut dem Spiel trotzdem sehr gut, denn es ist nicht nur eine willkommene Auflockerung von den Kämpfen. Wer fleißig erkundet, findet in der Spielwelt dämonische Verbündete, herausfordernde Feinde, die eure Fähigkeiten auf die Probe stellen, und hilfreiche Items. Haltet Ausschau nach kleinen Kobolden und Objekten, die euch eine Spielwährung namens Glory zur Verfügung stellen. Damit könnt ihr passive Fähigkeiten freischalten, die euer weiteres Vorankommen in vielerlei Hinsicht vereinfachen können. Quests belohnen euch ebenfalls mit seltenen Fusionsformeln und obwohl diese Nebenbeschäftigungen in der Regel nicht übermäßig spannend ausfallen, darf man ab und zu über den Ausgang einer Mission mitbestimmen. Das Ende eurer Geschichte werdet ihr mit euren Entscheidungen übrigens selbst beeinflussen.
Ich war mir lange Zeit nicht sicher, was ich von Shin Megami Tensei V halten soll. Das Spiel ist durchzogen von religiösen Motiven und ungewöhnlichen Thematiken, die eine interessante Endzeitstimmung ergeben. Ihr dürft kein Gute-Laune-Spiel im Stile von Persona erwarten, denn in dieser Reihe retten wir die Welt nicht - sie ist längst verloren. Das zentrale Spielskelett entspricht der alten DNA, obwohl die neuen Elemente das sehr geschickt überdecken. Die Erkundung einer dreidimensionalen Spielwelt ist eine willkommene spielerische Erweiterung, aber rein visuell wird die künstlerische Intention von Shin Megami Tensei V durch die Hardware der Nintendo Switch meiner Meinung nach zurückgehalten. Das ist wahrscheinlich der Preis dafür, ein Spiel dieses Kalibers unterwegs spielen zu können. Es ist nicht der schlechteste Deal.