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Medal of Honor: Above and Beyond

Medal of Honor: Above and Beyond

Eine große Marke kehrt zurück und befördert uns via Virtual Reality in den Zweiten Weltkrieg. Winkt dafür eine Medaille?

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Ende der 90er Jahre schufen Steven Spielberg und seine Firma Dreamworks das erste Medal-Of-Honor-Game für die Playstation. Nachdem er seinen beeindruckenden Film Der Soldat James Ryan fertiggestellt hatte, wollte Spielberg die Grauen des zweiten Weltkriegs ebenso konkret in einem Videospiel vermitteln. Besonders brachial wurde in beiden Werken die Schlacht am „Omaha Beach" inszeniert, bei der im Sommer 1944 tausende von Soldaten ihr Leben ließen, als die alliierten Streitkräfte an der besetzten französischen Küste landeten. Nach dem riesigen Erfolg des Spiels wurden im Lauf der Jahre 15 weitere Teile entwickelt, wobei der letzte Versuch Medal of Honor: Warfighter 2012 floppte und erst einmal das Ende der Reihe besiegelte.

Doch nun steht ein neuer Ableger in den Startlöchern, der bei Respawn Entertainment entstanden ist und die alten Traditionen der Reihe neu aufleben lassen soll. Genau wie damals versucht man sich in gewissem Sinne an einem neuen Medium - war 1999 ein Computerspiel noch eher ein Experiment für Steven Spielbergs Unternehmen, bieten die Entwickler ihren neuen Titel nun als reines Virtual-Reality-Spiel an. Dabei wurde in der Planung merklich bedacht, dass sich dieser Bereich noch im Frühstadium befindet und für viele Spieler Neuland darstellt. Das Spiel bietet 5 übergeordnete Missionen, die in insgesamt 56 Unterkapitel unterteilt sind. Gerade am Anfang sind diese Kapitelchen zum Teil sehr kurz und bestehen vielleicht nur aus einem einzigen Gespräch oder einem räumlich begrenzten Kampf gegen eine handvoll Gegner. Dieser Design-Kniff wurde gewählt, um auch VR-Anfängern einen angenehmen Einstieg ins Spiel zu ermöglichen. Wilde Action in VR kann bekanntlich leicht zu Übelkeit führen, wenn man diese Art von Erfahrung nicht gewohnt ist. Ein entsprechend großer Fehler besteht darin, es gleich am Anfang zu übertreiben. Hier haben die Entwickler sehr gut mitgedacht.

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Auch die Stärken von VR werden von Beginn an gezielt ausgespielt. Schon das „Hauptmenü" ist ein detailliert ausgestalteter Raum im Hauptquartier des Militärgeheimdienstes OSS. Hier können wir allerlei Gegenstände in die Hände nehmen und aus der Nähe betrachten - sogar eine alte Schreibmaschine steht bereit und lädt uns ein, sie auszuprobieren. Sobald es dann mit der Action losgeht und die ersten Kampfmissionen anstehen, stellen wir fest, dass wir unsere Waffen und Ausrüstung ebenso intuitiv mit unseren Händen bedienen und sehr lebensechte Bewegungen ausführen müssen. Dabei gibt es einiges zu beachten: Zum Beispiel müssen wir zum Nachladen erst einmal das leere Magazin auswerfen, bevor wir ein neues von unserem Gürtel ziehen und in der Waffe platzieren. Zudem müssen wir bei den meisten Bleispritzen anschließend noch den Schlagbolzen zurückziehen. Allein dieser Vorgang führt schon zu einem gewissen Adrenalinrausch. Zur Immersion trägt außerdem bei, dass wir uns im dreidimensionalen Raum deutlich intuitiver bewegen und uns durch natürliches Kopfdrehen in andere Richtungen umgucken können. Das Beste daran: Wie im echten Leben können wir hinter Vorsprüngen vorbeispähen, indem wir uns zur Seite lehnen oder hinter Hindernissen in die Hocke gehen. Körperlich kann das actionreiche Geschehen ganz schön anstrengend sein. Natürlich kann man auch im Sitzen spielen, doch in Home-Office-Zeiten nehmen wir so ein Extra-Workout sehr gerne mit.

Auch sonst überrascht uns das Spiel immer wieder mit natürlich wirkenden Vorgängen - ob wir uns nun zur Heilung eine Spritze in die Brust rammen oder den Ring einer Handgranate „mit den Zähnen" herausziehen, indem wir sie zum Mund führen. Dazu gesellen sich viele Spezialaufgaben, in denen wir zum Beispiel mit einem Metalldetektor Minen aufspüren oder mit einem Fernglas feindliche Flak-Stellungen auskundschaften. Auch klassische Ego-Shooter-Auflockerungen hat das Spiel am Start, darunter auch Rail-Shooter-Passagen. So feuern wir aus dem Beiwagen eines rasenden Motorrads oder befehligen den Geschützturm eines Panzers. Diese Episoden machen besonders viel Spaß, da sie sehr gut zum Medal-Of-Honor-Stil passen, der nie gänzlich auf Realismus setzt, sondern etwas von den Groschenromanen, Comics und Abenteuerfilmen hat, mit denen vor allem im englischsprachigen Raum in den 50er- und 60er-Jahren die erlittenen Traumata des Krieges mit einer gewissen heroischen Naivität weggebügelt wurden.

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Und genau das ist ein wenig schade an „Above & Beyond": Die virtuelle Realität bietet eigentlich das perfekte Medium, um die wirklichen Schrecken des Krieges zu vermitteln. Stattdessen wird das Ganze in ein oft comicartiges Korsett gepresst, das manchmal ein wenig an Kasperletheater erinnert. So sehen die Figuren - auch wenn sie wahrscheinlich bewusst so gestaltet wurden - nicht so echt aus, wie wir es zum Beispiel aus Half-Life: Alyx oder Star Wars: Squadrons kennen. Auch das Timing der Dialoge wirkt oft unrund, die Bewegungen von Freund und Feind oft abgehackt. Allein, wie Gegner ihre Waffen fallen lassen, erinnert manchmal an das erste Medal of Honor: Von einem Augenblick zum anderen springt ein Gewehr in eine waagerechte Position und „schwebt" zu Boden. Eigentlich keine große Sache, doch in VR fällt so etwas deutlicher auf, weil es eben das ansonsten sehr gute Realitätsempfinden, das die äußerst aufwendig gestalteten Schauplätze aufbauen, immer wieder dämpft.

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Dies ist vor allem merkwürdig, da die beigefügten Dokumentarfilme ein ganz anderes Bild zeichnen. Es ist ergreifend und erschütternd, alte Veteranen von Erlebnissen berichten zu sehen, die sie ganz offensichtlich 70 Jahre später noch stark emotional beschäftigen. Es ist ein wenig schade, dass das eigentliche Spiel diese Tonalität überhaupt nicht aufnimmt, aber es ist eben auch ein Medal Of Honor für die alten Fans, die Bumm-Krach-Hurra wollen und einfach zu den schmissigen Klängen einer Militärkapelle ein paar Nazis abknallen wollen. Dabei muss man es nicht einmal beim Schießen belassen, schließlich können auch Kampfmesser geworfen oder Mistgabeln und Küchenmesser zweckentfremdet werden, um auf Feinde losgehen. Der Gewaltgrad ist allerdings recht zahm. Abgesehen davon, dass reichlich Blut spritzt, braucht man keine Gedärm-Exzesse zu befürchten wie sie realistischerweise in der Der Soldat James Ryan auftraten.

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Was die Rummelplatz-Schießereien angeht, schöpft Medal of Honor: Above and Beyond aus den Vollen und macht dabei jede Menge Spaß. Die Missionen enden zwar oft recht abrupt und erreichen nicht ganz das inszenatorische Kaliber eines neuen Call Of Dutys, aber der VR-Faktor trägt seinen Teil dazu bei, immer mal wieder zu überraschen oder zu beeindrucken. Laut Entwickleraussagen haben etwa 1200 Menschen an dem Spiel mitgearbeitet, und das zeigt sich in den Details. Die Szenerien und Ereignisse sind jedenfalls meisterhaft gestaltet und gerade für Leute mit wenig VR-Erfahrung dürfte das Geschehen absolut fantastisch und augenöffnend sein. „Alte Hasen" mögen den Entwicklern hingegen vorwerfen, dass sie die Entwicklungen der letzten zwei, drei Jahre vielleicht nicht allzu aufmerksam verfolgt haben, da wir einige Bedienungsaspekte auch schon besser gesehen haben. Besonders das „Speichern" von zwei Waffen links und rechts auf dem Rücken ist jedes Mal mit Herumprobieren behaftet und auch sonst geht das Hantieren mit dem eigenen Inventar und das Aufheben von Gegenständen gerne mal schief. Insgesamt fehlt es dem Spiel eigentlich an allen Belangen an etwas Feinschliff - abgesehen von der exzellenten Gestaltung der Maps mit all ihren (statischen) Inhalten.

Dies gilt auch für den Multiplayer-Modus, der zwar sehr routiniert inszeniert ist und viel Spaß macht, dabei aber nicht das komplexe Aufleveln moderner Shooter bietet, was für die Langzeit-Motivation nicht unwichtig ist. Dafür gibt es mit "Mad Bomber" einen recht originellen Spielmodus, in dem alle Spieler Bomben verstecken und die der anderen finden müssen, was bei Erfolg mit überproportional vielen Punkten belohnt wird. Ansonsten bleibt abzuwarten, ob Respawn Entertainment vielleicht im Multiplayer-Bereich noch etwas nachlegen und mehr Modi und Freischalt-Möglichkeiten liefern. In der Kampagne gibt es einige Sammelgegenstände zu entdecken und auch neue Charaktere für den Multiplayer schalten wir dort frei. Für Singleplayer-Fans, die die Hauptkampagne irgendwann auswendig kennen, gibt es außerdem noch einen Survival-Modus.

Unterm Strich ist Medal Of Honor: Above and Beyond wieder ein würdiger Teil der Serie, der Fans sicherlich viel Spaß machen wird und VR-Neueinsteigern garantiert diverse höchst beeindruckende Momente liefert. Alte Hasen ächzen dagegen über die extrem hohen Hardwareanforderungen, die für das Gebotene etwas überzogen wirken, da andere Spiele Ähnliches auch mit weniger Power und Speicherplatz auf die Beine stellen. Die oft karikaturhafte Tonalität des Spiels ist sicherlich Geschmackssache, die Qualität der vielen Dokumentationen erweist sich dafür als fantastisch: Hier bietet das Spiel einen hohen Mehrwert, indem es den historischen Kontext genauer beleuchtet. Zumindest damit ist das Ziel, das Steven Spielberg bereits mit dem ersten Medal Of Honor angepeilt hat, nun mit Bravour erreicht worden.

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08 Gamereactor Deutschland
8 / 10
+
Umfangreiche Kampagne, Aufwendig gestaltete Szenerien, tolle Begleitdokumentationen
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Es fehlt vielerorts der Feinschliff, die Hardwareanforderungen sind extrem hoch
overall score
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