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Astral Chain

Astral Chain

PlatinumGames hat ihr neuestes Genre-Mashup auf den Markt gebracht und wir haben uns das genauer angesehen.

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Astral Chain ist das Ergebnis der fortwährenden Zusammenarbeit zwischen PlatinumGames und Nintendo, die im Laufe der Jahre viele innovative, aber in manchen Belangen auch durchaus enttäuschende Titel hervorgebracht haben. Zum Beispiel wurde Bayonetta 2 gefeiert, während Star Fox Zero floppte und The Wonderful 101, wie die meisten anderen Titel der Konsole, in der finanziellen Bedeutungslosigkeit der Wii U gefangen waren. Astral Chain ist zudem die erste große neue Marke von PlatinumGames seit dem fantastischen Nier: Automata, das Studio muss also einigen großen Erwartungen gerecht werden.

Das Game basiert auf einem komplexen Konzept, da wir zwei Charaktere gleichzeitig kontrollieren. Wer jetzt an die drei Protagonisten von Grand Theft Auto V denkt, ist auf dem Holzweg - wir steuern sie die beiden Figuren wirklich gleichzeitig. Auf demselben Bildschirm in voller Action, während alles explodiert und wir Angriffskombinationen ausführen müssen. Es ist keine leichte Aufgabe, aber Platinum hat schon immer mit unorthodoxen und innovativen Spielmechanismen experimentiert (und dabei krampfauslösende Steuerungsschemen geschaffen, die die Geschicklichkeit der Spieler auf die Probe stellen).

Astral Chain hat diesen unverkennbaren Stil des Studios an sich -die Kameraempfindlichkeit, der Steuerungsstil und die Bewegungen erinnern an die anderen Titel des Studios. Das Kampfsystem ist deshalb natürlich ein wichtiger Teil der Erfahrung, enthalten sind verschiedene Angriffskombos, Kamerafokussierung und perfekte Ausweichmanöver, die wiederum die Zeit verlangsamen und uns starke Gegenangriffe ermöglichen. In den ruhigeren Momenten des Spiels laufen wir in begrenzten Sandkastenumgebungen oder in linearen Korridoren herum, kaufen bei Händlern medizinische Vorräte ein, finden Materialien auf dem Boden und interagieren mit den verschiedenen virtuellen Bewohnern dieser Welt.

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In Plattforming-Sektionen und bei der Detektivarbeit kommen unsere Legions ebenfalls zum Einsatz.

Das interessanteste Merkmal ist hinter der linken Bumper versteckt: Damit können wir einen "Legion" in die Schlacht rufen. Das sind interdimensionale Wesen, die physisch mit dem Spielercharakter verbunden sind. Diese Kreaturen unterscheiden sich in Charakter und Verhalten deutlich und wir befehligen sie uneingeschränkt. Im Kampf aktivieren wir ihre verschiedenen Spezialfähigkeiten, lassen sie selbstständig angreifen oder, wenn wir den Bumper gedrückt halten, übernehmen die direkte Kontrolle über das Wesen und steuern es mit dem rechten Stick. Zunächst scheint das Ganze ein wenig überbordend, doch mit der Zeit werden die Kontrollen natürlicher und das Potenzial klarer. Sobald dem Gehirn und den Daumen die Verknüpfung gelungen ist, macht der der Wahnsinn Sinn.

Unser treuer Begleiter wird natürlich nachvollziehbar in die Fiktion des Spiels eingewoben: Die Menschheit steht kurz vor der völligen Vernichtung, nachdem sie jahrelang von interdimensionalen Monstern angegriffen wurde. Ein Wissenschaftler hat schließlich den Plan, eines dieser Monster zu fangen und es gegen seine Verwandten zu richten. Der Spieler übernimmt die Kontrolle über die stille Hälfte der Howard-Twins, der die erbeutete Legion im Kampf gegen die chimären Horden meistern und einsetzen muss. Das ist eine beträchtliche Aufgabe, die tödliche Kämpfe gegen eine umfangreiche Galerie verschiedener Monster, sowie zahlreiche Plattforming-Sequenzen, leichte Detektivarbeiten und das Lösen von Problemen mit sich bringt. Astral Chain ist also eine eher ungewöhnliche Mischung aus Gameplay-Elementen, die uns irgendwo zwischen einem Polizisten und einem Löwenbändiger platzieren.

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Dass das Kampfsystem bockt, konnte man bei PlatinumGames erwarten. Doch Astral Chain bietet noch so viel mehr als das.

Die Fähigkeit, oder eher die Notwendigkeit, zwei Charaktere gleichzeitig zu kontrollieren, stellt eine einzigartige Herausforderung an uns dar, die viele interessante Variationen eines ansonsten relativ konventionellen Themas eröffnet. In Kampfsituationen ist die Legion im Autopiloten, aber wenn wir sie manuell steuern, geben wir ihr eine Aufgabenpriorität vor. Indem wir beide Charaktere entsprechend positionieren, können wir Feinde sogar mit unserer namensgebenden Astralkette einwickeln, was sie kurzzeitig lähmt. Das Ergebnis ist eine innovative Spieldynamik, die selten betont wird.

Unser Monster kann nicht sterben, wird aber allmählich erschöpft und muss dann zum Regenerieren in sein warmes und sicheres Zuhause in unserem Handgelenksgefängnis zurückkehren. Wie schnell sich diese Energie abebbt hängt von verschiedenen, situativen Angriffen und Aktionen ab. Daher sind auch präzise und zeitkritische Reaktionen wichtig.

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Es gab nie Zweifel daran, dass der Entwickler ein robustes Kampfsystem aufbauen kann, doch die wahre Überraschung von Astral Chain ist, wie viel mehr das Spiel noch zu bieten hat. Es mangelt nicht an farbenfrohen, adrenalingeladenen Kampfsequenzen, in denen Gegner in blutigen Neonwolken explodieren, während im Hintergrund Djent-artige Metal-Musik erklingt - aber es gibt auch viele Momente, sogar ganze Abschnitte, in denen Astral Chain langsamer abläuft, mit einem stärkeren Fokus auf Entdeckung, Geschichtenerzählen und Problemen, die wir lösen müssen.

Die Menschheit begreift nämlich nur das lose Konzept der Bedrohung und es ist oft eine Herausforderung, die wahren Problemverursacher zu finden. Daher werden wesentliche Teile der vierzehn bis fünfzehn Missionen des Spiels für die Befragung von Zeugen, die Untersuchung von Hinweisen und das Lösen kleinerer Rätsel aufgewendet. Auch hierbei spielen die Legions eine wichtige Rolle: Der Schwerthirsch zum Beispiel kann verdächtige Charaktere abhören, während der Wolf Düfte aufspürt und versteckte Gegenstände ausgräbt. Die Detektivarbeit im Spiel ist oft banal, aber es ist eine gute Möglichkeit, ein paar unerledigte Dinge abzuarbeiten, was auch dazu beiträgt, den roten Faden der Haupterzählung und ihre Handlung im Überblick zu behalten.

PlatinumGames ist sicher am besten für ihre explosive Kunst bekannt, denn normalerweise wird die verrückte Handlung von einer starken Erzählung begleitet. Astral Chain ist da keine Ausnahme, eher im Gegenteil: Es wurden erhebliche Anstrengungen unternommen, um eine Welt zu schaffen, die sowohl visuell, als auch thematisch interessant ist und die Erkundungen mit vielen optionalen Missionen und Nebenaktivitäten belohnt. Das trägt viel zum Gesamterlebnis hinzu, ohne dem roten Faden dabei in die Quere zu kommen.

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Astral Chain platziert uns irgendwo zwischen einem Polizisten und einem Löwenbändiger.

Da schadet es ganz sicher nicht, dass die Inspirationsquellen des Studios feine Popkultur-Schwergewichte, wie Ghost in the Shell, Appleseed und Neon Genesis: Evangelion sind - das ist wirklich kaum zu übersehen. Die Erzählung von Astral Chain kann zwar nicht mit einem dieser Beispiele konkurrieren, sie ist aber immerhin interessant. Die Inspiration wurde gut gewählt und der Ehrgeiz ist lobenswert, außerdem wird das Spiel von einer reichen Galerie charismatischer Charaktere unterstützt.

Das japanische Melodrama erfordert eine gewisse Stimmung, deshalb haben wir uns so sehr über einige der Dinge geärgert, die Astral Chain nicht bietet. Ein bisschen fehlen uns zum Beispiel die kindlichen Streitereien und die ängstlichen Monologe. Unser stummer Protagonist ist ein weiteres Problem, da seine Beziehung zur Mission, dem anderen Zwilling und vor allem zu unserem versklavten Begleiter absolut unterentwickelt ist. Das hätte ruhig noch ein bisschen runder sein können - nicht viel, aber ein bisschen.

Glücklicherweise hat Astral Chain noch viel mehr zu bieten. PlatinumGames schafft es, die einzigartige Prämisse des Spiels auf die bestmögliche Art und Weise zu entfalten, sowohl mechanisch als auch narrativ. In Plattforming-Sektionen kommen unsere Legions nämlich ebenfalls zum Einsatz, mit ihrer Hilfe verschieben wir schwere Kisten, rennen durch einen Hindernisparcours oder lassen uns von ihnen über einen Abgrund ziehen. Wir können einem Freund die Kontrolle über unseren Legion überlassen, allerdings ist das nur ein Gimmick mit begrenztem Umfang. Uns erinnert das alles ein wenig Super Mario Odyssey und dessen Mützenfunktion. Und es gibt noch mehr: viele kleinere Nebenmissionen, Upgrade-Module, die sich auf unseren Spielstil auswirken können, variable Angriffskombinationen, fünf Legions mit unterschiedlichen Eigenschaften und drei verschiedene Schwierigkeitsstufen, sowie einen beeindruckenden Wiederspielwert.

Astral Chain ist kein wildes Experiment, wie Star Fox Zero es ist nicht so introspektiv, wie Nier: Automata und es ist alles andere als extravagant, so wie Bayonetta. Dieses Spiel ist etwas ganz Anderes. Wir wissen nicht, ob wir Astral Chain als bestes Spiel von Platinum auf dem Podest platzieren wollen, aber es ist definitiv eine abgerundete, vielseitige Erfahrung mit einer starken mechanischen Identität - ein sorgfältiger Querschnitt durch den Katalog des Entwicklers, zusammengezogen mit einer einzigartigen und gut zusammengestellten Prämisse, Momenten von taschenphilosophischer Ekstase und viel Charme.

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08 Gamereactor Deutschland
8 / 10
+
Schwierig zu erfassende, dafür gut entwickelte Prämisse. Vielseitiges Spielerlebnis mit einem guten Kampfsystem, lustiger Detektivarbeit und Rätseln. Nette Sprachausgabe.
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Die Erzählung hätte mehr Schlagkraft haben können, die ersten Stunden sind komplexe Tutorials.
overall score
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