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Splinter Cell: Conviction

Splinter Cell: Conviction

Die traurige, melancholisch und dunkle Hintergrundmusik wabert noch immer durch meinen Kopf. Treffsicher in ihrer schlichten Schönheit steht sie exemplarisch für den neuen Sam Fisher. Betrogen von Third Echolon, jener Institution, die einmal seine Identität war. Scheinbar verraten von Anna Grimsdottir, seiner Vertrauten. Und sauer. Stinksauer.

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Er hat seinen besten Freund auf dem Gewissen, seine Tochter verloren und steht nun im Weißen Haus, im Raum für Pressekonferenzen, als erneut der Lauf einer Pistole direkt auf ihn gerichtet ist. Am Abzug der Finger einer vertrauten Person. Die Verschwörung kennt keine Freunde, so sieht es jedenfalls aus. Es knallt. Die Kugel schlägt erbarmungslos in der linken Schulter ein.

Vorher habe ich mich mit Sam durch die Büros der Entourage gekämpft. Mit allen Tricks. Bin mit dem neuen Cover-System automatisch von Deckung zu Deckung gerannt, um nicht von der Maschinengewehrstellung zersiebt zu werden. Habe danach mit dem voll hochgerüsteten G36C die ersten beiden heranstürmenden Spezialagenten des Verräters eiskalt ausgeknipst. Deren Kollegen treibt nun die Angst - und sie verharren in ihrer Stellung. Ein tödlicher Fehler. Ich schleiche mit Sam durch die Dunkelheit um die Ecke, suche Deckung hinter einem Sofa. Schmeiße eine Haftkamera hinter den einen Typen an die Wand. Die spielt auf Knopfdruck einen bekloppten Jingle ab, den der Agent mit einem ahnungslosen "Häh?" quittiert und sich umdreht. In diesem Augenblick drücke ich den anderen Knopf. Mit einem Riesenknall sprengt sich die Kamera in die Luft - er hat keine Chance.

Splinter Cell: Conviction
Schärfe und Unschärfe erzeugen in den Actionszenen des Markieren und Ausschalten-Features eine ungeheuerliche Dynamik.

Der letzte Typ schreit mich an: "Schön Arschloch, komm raus!" Seine Stimme wirkt nicht mehr sonderlich selbstsicher. Ich schieße nach und nach die Lichter aus. Der Typ flucht weiter, sieht mich dann kurz, was sofort damit quittiert wird, dass meine grau-weiße Silhouette sichtbar wird. Ich flüchte - und nun sucht der hektische Agent nach der letzten bekannten Position. Er sucht eine Fisher Morgana. Derweil habe ich ihn überrundet und schleiche mich von hinten an. Zack, Haltegriff, ein Dreh und das Genick ist gebrochen. Das gibt wieder ein paar Upgrade-Punkte für eine absolvierte P.E.C.-Herausforderung. Katz und Maus, Level 2. Gegner im Nahkampf erledigt, der meine letzte bekannte Position untersucht. Check. Von diesen Herausforderungen gibt es einige, ein netter Motivationsfaktor.

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Szenen wie diese zeigen, wovon das neue Splinter Cell extrem profitiert: vom reibungslosen Wechsel des Tempos mitten im Spiel, im Solomodus wie im Multiplayer. Splinter Cell: Conviction steht für die große Freiheit im Handeln, denn es gibt immer zahlreiche Möglichkeiten zum Ziel zu kommen. Viele Möglichkeiten sogar, selbst völlig ohne Schießen und Töten gelangt man teilweise zum Ziel.

Dieser Ansatz führt dazu, dass wir aus teilweise heftigen, sehr direkten Actionsequenzen quasi direkt in die ruhigen Stealth-Momente gezwungen werden. In der einen Sekunde noch mäht Sam mit der Maschinenpistole fünf Gegner nieder und legt die restlichen drei mit der Kraft von Krav Maga aufs Kreuz, jener Nachkampftechnik, die auch von der israelischen Armee für Angriff und Verteidigung eingesetzt wird. Schlicht, gradlinig, brutal, effektiv und teilweise sehr intuitiv einsetzbar, mitten im Kampf zwischen Feuergefechten, um eine eher ausweglose Nahkampfsituation doch noch zu lösen. Da fliegen dann auch schon mal Gegner aus dem Fenster, durch geschlossene Türen oder klatschen mit den Kopf gegen die Wand.

Splinter Cell: Conviction
Ahnungslos am Fenster zum Hof - und in drei Sekunden liegt die unaufmerksame Wache tot im Hinterhof.

Kurz danach springt Sam dann mitten aus der Hektik durch ein zersplitterndes Fenster in die sichere Deckung, hangelt sich an Fassaden entlang zur anderen Seite, um dort aus der Dunkelheit heraus einen Typen aus dem Fenster zu zerren und die anderen beiden mit dem automatischen Markieren und Ausschalten-Modus zu eliminieren. Mit diesem Feature lassen sich aus der sicheren Deckung (aber auch mitten aus der Action heraus, selbst wenn das natürlich sehr schnell gehen muss) je nach Waffentyp und Upgradestatus bis zu vier Gegner oder Gegenstände markieren und danach per Knopfdruck automatisch auslöschen. Das Spiel mit Schärfe und Unschärfe in diesen Actionszenen erzeugt zudem eine ungeheuerliche Dynamik.

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Im Idealfall erlebt man diese Szenen gemeinsam mit einem Freund im Koop-Modus, der online oder im Splitscreen läuft. Es gibt einen Storyteil, wo ein separater Strang über die beiden Agenten Archer und Kestrel erzählt wird, der aber relativ schnell absolviert ist. Er spielt sich etwas reduzierter als der Solomodus, aber baut auf identische Elemente und glänzt dadurch, dass die Ideen teilweise sogar verfeinert wurden. Sind etwa via Markieren und Ausschalten von einem Spieler zwei Gegner markiert, kann er darauf warten, bis der Mitspieler in einer guten Position ist. Dann wird das Ausschalten zum Dual-Ausschalten und die beiden Agenten machen auf Knopfdruck gemeinsame Sache.

Der interessantere Teil sind die Koop-Nebenmissionen. Hier müssen zwei Freunde im Jäger-Modus eine fest definierte Zahl an Gegnern ausschalten oder gemeinsam im letzten Gefecht einen festen Spot gegen immer stärker werdende Gegnerwellen verteidigen. Im Multiplayer gibt es mit Duell eine tolle Variation dieses Modus, wo zwei Spieler gegeneinander antreten und es zusätzlich noch mit diesen KI-gesteuerten Gegnerwellen zu tun bekommen.

Splinter Cell: Conviction
Einmal gegrillten Stirnlappen, bitte: Verhöre gibt es auch im Koop-Modus, weniger brutal sind sie dort nicht...

Die gesamte Geschichte von Sam Fisher ist eine klassische Agentenstory - nur deutlich dunkler, rachsüchtiger und direkter als bisher. Ihre Erzählung lebt von Zeitsprüngen, die immer wieder zu kleinen Inkonsistenzen führen. In einer Szene im Irak kann ich plötzlich nicht mehr wie gewohnt durch geschlossene Fensterscheiben springen - es klärt sich aber später auf, warum das so ist. Danach treffen wir in der Jetztzeit einen alten Freund auf einem Jahrmarkt in Washington wieder. Hübsch inszeniert, völlig anders als das vorherige Kapitel. Die Story selbst ist verworren (für Insider mit Vorwissen natürlich etwas weniger) - aber ein schönes, kleines Stück rund um einen rachsüchtigen Vater ohne Identität zwischen den Stühlen von Third Echolon, Black Arrow, unter Druck gesetzt von Anna Grimsdottir, Lucious Galliard und Tom Reed.

Splinter Cell: Conviction mag auf den ersten Block wirken wie ein Zugeständnis an alle. Es ist für alle etwas drin, es ist nicht zu leicht und nicht zu schwer. Erst auf dem höchsten Schwierigkeitsgrad raubt es einem im Solo- und Koop-Modus angenehm den letzten Nerv. Die Infiltration des Third Echolon-Hauptquartiers ist da exemplarisch. Die Gegner entdecken selbst geschickt ausradierte Gegner sofort, die Überwachungskameras auch und deaktivieren darf man sie nicht. Nur völlig unsichtbar kommt man hier weiter, da wird aus dem Action-Shooter plötzlich ein Plattformer, denn das Spiel atmet hier Timing und Auswendiglernen von Mustern.

Kurz vorher im White Box Lager ging es noch darum, mit aller Macht und Gewalt Positionen zu verteidigen, was besonders im Team ein Riesenspaß ist. Wenn zwei Spieler sich gegenseitig darüber verständigen, die Gegner abwechselnd aus dem Konzept und dann umzubringen, liefert das Game im Minutentakt seine Oha-Momente ab. Das ist schon sehr, sehr überzeugend gemacht.

Splinter Cell: Conviction
Die grau-weiße Silhouette zeigt jene Position an, wo uns der Gegner zuletzt gesehen hat. Die nimmt er dann für einen Augenblick bevorzugt in Augenschein oder unter Feuer - was wichtige Zeit schafft zur Flucht und Neuorientierung.

Ein bisschen schade, dass es im Solomodus nur so wenige der gescripteten Verhöre gibt - die sind so intensiv gemacht, dass man sich immer aufs nächste freut. Hier prügelt und schießt sich Sam extrem brutal wichtige Informationen aus zentralen Figuren. Hier bricht der Konflikt des um seine Tochter betrogenen Vaters aus dem sonst so gefühlskalten Mann heraus wie ein explodierender Vulkan. Ebenso schade ist es auch, dass die eigentlich tolle Idee mit dem Projizieren der Missionsziele auf Wände und Gegenstände nicht noch etwas offensiver eingesetzt wurde. Es wirkt fast etwas zu zurückgenommen - und ein paar Videos mehr hätten an dieser Stelle auch nicht geschadet. Denn das Konzept, einen Teil der Story mit diesen Videos erzählen zu wollen, ist so wunderbar neu.

Ebenso großartig und wunderbar umgesetzt ist das Konzept, an besonders heftig umkämpften Punkten die Optik zwischen Farbe und Schwarz-Weiß zu wechseln - je nachdem, ob Sam gerade in voller Deckung unterwegs ist oder die volle Aufmerksamkeit genießt. Gegner bleiben dabei immer in Farbe animiert. Über die gesamte Solokampagne hinweg, die mit ihren elf Episoden etwas kurz geraten ist, wechseln sich düstere und gleißend helle Passagen ab. Allen Szenarien ist gemein, dass sie ausgesprochen authentisch inszeniert sind. Authentisch ist ohnehin das Wort für den neuen Sam Fisher. Er ist endlich er selbst. Frei von allem Druck der Institutionen. Nur noch sich selbst und seinen Freunden gegenüber verpflichtet. Einen solchen holt er am Ende noch aus einer misslichen Lage heraus. Ein deutlicher Teaser dafür, dass er nicht in den Ruhestand geht. Ich wette, sie arbeiten bereits am nächsten Teil.

09 Gamereactor Deutschland
9 / 10
+
Intuitive Steuerung, viele Möglichkeiten zum Ziel zu kommen, toll inszeniert, Koop macht Laune
-
Solomodus ein bisschen zu kurz
overall score
ist die Durchschnittswertung von Gamereactor. Wie hoch ist eure Wertung? Die Durchschnittwertung aller Gamereactor-Redaktionen wird aus den Wertungen in allen Ländern erhoben, in denen es lokalen Gamereactor-Redaktionen gibt

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